Hückelhoven Pflegevater öffnet Haustür und Herz

Hückelhoven · Unter den Flüchtlingen in Hückelhoven sind auch 13 Kinder und Jugendliche, die ohne Erziehungsberechtigten gekommen sind. Ein Pflegevater gibt zwei Jungs aus Afghanistan und Syrien ein Zuhause auf Zeit und begleitet ihren schwierigen Weg nach der Flucht.

In der Heimat von Aman (l.) und Ahmad herrschen Gewalt, Tod und Zerstörung. Michael K. möchte ihnen in seinem Haus einen sicheren Hort und die nötige Starthilfe geben. Der Lehrer genießt es, dass Leben im Haus ist.

In der Heimat von Aman (l.) und Ahmad herrschen Gewalt, Tod und Zerstörung. Michael K. möchte ihnen in seinem Haus einen sicheren Hort und die nötige Starthilfe geben. Der Lehrer genießt es, dass Leben im Haus ist.

Foto: JÜRGEN LAASER

Die Krippe im Kölner Dom stellt dieses Jahr auch Menschen auf der Flucht dar. Eine Geburt ohne feste Herberge, in einem Stall, das ist schon schwer vorstellbar. Welche traumatischen Ereignisse Flüchtlinge aus ihrer Heimat vertrieben und was sie auf ihrer Flucht durchgemacht haben, entzieht sich erst recht jeglicher Vorstellungskraft. Besonders, wenn es Kinder und Heranwachsende betrifft. In Hückelhoven sind zurzeit 13 (demnächst bis zu 25) unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu betreuen. Der Lehrer Michael K. (40) ist einer, der diese Herausforderung mit Herz und Hand anpackt - als Pflegevater für Aman, einen 15-Jährigen aus Afghanistan, und Ahmad, einen 16-jährigen Syrer.*

Kinder auf der Flucht. Mit drei jüngeren Geschwistern kam eine 19-Jährige nach Hückelhoven, zwei Kinder im Vorschulalter reisten mit ihrer Oma. "Allein reisende minderjährige Flüchtlinge sind ohne Eltern oder Erziehungsberechtigte unterwegs", erklärte im Rathaus Jugendamtsleiter Ralf Schwarzenberg. "Seit dem Sommer sind häufig Geschwister zu versorgen." Seit dem 1. November regelt ein neues Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher, dass diese nach Quote auf die Kommunen verteilt werden. Der Zahlenschlüssel ändert sich wöchentlich. Wenn Kinder keine rechtlichen Vertreter haben, übt das Jugendamt die elterliche Sorge aus. Das geht bürokratisch korrekt: Das Familiengericht entscheidet über den Antrag auf Ruhen der elterlichen Fürsorge, das Jugendamt entscheidet, ob die Kinder in ein Heim oder zu Pflegeeltern kommen. Die Oma mit den Kleinen wird in einer Wohnung ambulant betreut.

Vormünderin Elke Schmitz, die Kinder an Eltern statt vertritt, kennt Schicksale, weiß, warum Kinder ohne Eltern die beschwerliche Flucht wagen: "Bei einigen sind die Eltern noch im Heimatland und haben ihre Kinder gewissermaßen vorausgeschickt, andere haben Eltern verloren." Schmitz leitet Clearing-Verfahren ein, kümmert sich um individuelle Hilfen. "Die erwachen hier, wenn sie rüberkommen", sagt die Vormünderin. "Wie das Administrative abläuft, wissen sie nicht." Bei Sprachproblemen helfen Übersetzer eines interkulturellen Kinder- und Jugendhilfeträgers.

Was die beiden Pflegekinder von Michael K. durchlitten haben, davon hat er bislang nur Puzzleteile. Von dem Jüngeren, Aman, vermutet er, dass er viel gelaufen ist. "Sein Vater ist ermordet worden, und die Mutter hat gerufen: Renn! Renn!", erzählt der 40-Jährige. Aman kam als Analphabet, er war Schafhirte irgendwo auf Feldern in Afghanistan, spricht nur den Dialekt Paschtu. Jetzt hat er mit dem Lehrer schon das ABC geübt und trägt einen Button "Ich lerne Deutsch". Der ein Jahr ältere, aber einen Kopf kleinere Ahmad hat erzählt, dass aus seiner ganzen Familie 6000 Euro gesammelt worden sind, damit er nach Deutschland kann. Seine Cousins hatten versprochen, ihn zu holen, er wollte nicht einziehen bei dem fremden Deutschen. Doch die Entscheidung war klar: Er muss betreut werden. Michael K. hat ihm versprochen, alles zu versuchen, damit er zu seiner Familie kann. Aman zieht es zu einem Onkel. Einmal, vermutlich ausgelöst durch TV-Bilder, begann er um seinen Vater zu weinen.

Der Pflegevater bemüht sich, für Abwechslung und schöne Momente zu sorgen, wenn er auch zu spüren glaubt, dass die Jungs nie unbeschwert genießen, solange es in der Heimat so viel Leid gibt. "Wir machen ein Freizeitprogramm", sagt der Lehrer. "Wir waren auf dem Weihnachtsmarkt, Skilaufen, Billardspielen, chinesisch essen", zählt er auf. Aman liebt den "Laptup", Ahmad spielt gern mit syrischen Besuchern Fußball auf der Playstation. Das Handy ist Nabelschnur in die Heimat - Segen und Fluch zugleich, weil Ahmad auch hört, dass wieder eine Bombe explodiert oder der Vater krank geworden ist.

Beim Besuch der RP in dem weihnachtlich geschmückten Haus reagieren die beiden höflich, aber zurückhaltend. Aman wendet rasch den Kopf und dreht sich zur Seite. Michael K. kennt seine Schützlinge schon so gut, dass er das interpretieren kann. "Frau!" sagt er nachdrücklich nickend. "In seiner Heimat sind Frauen verschleiert und man schaut sie nicht an." Die Jungs verziehen sich in die Küche, wo eine Lahmacun im Ofen duftet. Mit dem Essen müssen sich alle arrangieren. Michael K. ist Vegetarier, der junge Schafhirte ernährt sich mit viel Obst und Gemüse gesund, Ahmad isst "halal" (nach den Regeln des Korans), liebt Chicken mit Pommes und Soße. Aman räumt auf, putzt, verlässt das Haus kaum. Das Hüten liegt ihm im Blut, meint der Pflegevater, der es genießt, dass jetzt Leben im Haus ist. "Er hütet das Haus, passt auf alle Sachen auf." Es sei eine nette Atmosphäre. "Gespräche können wir nicht führen", sagt Michael K., "aber wir nehmen Hände und Füße." Gern hätte er noch zwei Pflegekinder. Ralf Schwarzenberg beteuert: "Er ist engagiert, hat sein Herz für Flüchtlinge entdeckt." Und Michael K. lächelt. "Es ist eine elementare Erfahrung. Doch sich zu engagieren ist einfach, denn es macht Spaß!"

*Zum Schutz ihrer Privatsphäre hat die Redaktion die Namen der beiden Jugendlichen geändert.

(RP)
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