Analyse So erinnern Hilden und Haan an NS-Zeit

Hilden/Haan · In Hilden wird jedes Jahr auf vielfältige Art der Opfer der Reichspogromnacht gedacht. Viele Gruppen der Gesellschaft tragen das mit. Junge Leute beschäftigen sich mit der Vergangenheit ihrer Stadt. In Haan fehlt ein Bündnis für eine Erinnerungskultur.

 Der Sternengang zu den Stolpersteinen macht Station auf der Mittelstraße, Höhe 62. Dort lebten die Geschäftsleute Emma und Joseph Krämer.

Der Sternengang zu den Stolpersteinen macht Station auf der Mittelstraße, Höhe 62. Dort lebten die Geschäftsleute Emma und Joseph Krämer.

Foto: Olaf Staschik

9. November: Gedenken an die Reichsprogramnacht 1938. Gut 100 Hildener, darunter viele Jugendliche, haben sich um den Gedenkstein im Stadtpark versammelt. Ein junges Mädchen spielt Trompete. "In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 war es in Hilden schlimmer als anderswo", sagt Bürgermeisterin Birgit Alkenings. Und spricht von der "Menschenjagd", bei der sieben Hildener starben: "Viele schauten zu, wenige halfen." Sie liest die Namen der NS-Opfer vor. Sieben Kerzen werden für sie angezündet. Theresienschülerinnen legen weiße Rosen dazu. Alle verharren einen Moment schweigend: Er fühlt sich echt an, ohne falsches Pathos. Dann gehen viele zum ökumenischen "Gottesdienst gegen das Vergessen" in die Reformationskirche. Ein Jugendparlamentarier macht noch schnell ein Selfie mit dem prominenten Bundestagsabgeordneten Peer Steinbrück.

Die Zeit des Nationalsozialismus ist ein schreckliches Kapitel in der Hildener Stadtgeschichte. Rat und Verwaltung haben sich ihm trotzdem gestellt. Sie gaben die 15-bändige Dokumentation "Nationalsozialismus in Hilden 1918 bis 1945" in Auftrag (1981 bis 1991). Nicht nur die Opfer, auch die Täter bekamen jetzt einen Namen und ein Gesicht. Für jedes NS-Opfer legte Künstler Gunter Demnig in Hilden einen "Stolperstein": 42 insgesamt. In diesem Jahr haben die Musikschule und das Familienbüro "Stellwerk" zusätzlich zu einem Gedenkkonzert in das "Alte Helmholtz" eingeladen. Das Gebäude, das in diesem Jahr 100 Jahre alt wird, spielte in der Pogromnacht eine zentrale Rolle: Im alten Helmholtz-Gymnasium veranstaltete die NSDAP am 9. November 1938 eine Gedenkfeier für 16 Nazis, die 15 Jahre zuvor bei Hitlers Putschversuch umgekommen waren. Anschließend zogen mehrere Schlägertrupps von SA und SS, unterstützt von Bürgern, los und wüteten in Hilden.

Die Gedenkveranstaltungen in Hilden werden gemeinsam getragen von der evangelischen und der katholischen Gemeinde, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Musikschule, Stadtrat, Stadtverwaltung, Jugendparlament. Drei neue Wege auf dem Albert-Schweitzer-Gelände werden nach Opfern der Pogromnacht benannt: Hendrike-Grüter-Weg, Eugenie-Willner-Weg und Bertha-Herz-Weg. Das hat der Stadtrat kürzlich auf Antrag der Grünen beschlossen. Das Jugendparlament Hilden hat sich 2013 mit den Schicksalen und Erlebnissen von Kindern und Jugendlichen aus jener Zeit in Hilden beschäftigt. Ergebnis war eine Ausstellung in der Stadtbücherei. In nächsten Jahr bricht die zehnte Jahrgangsstufe der Theresienschule zu einer Studienfahrt nach Auschwitz auf. Als Vorbereitung forschten die Schülerinnen der Realschule auf den Spuren der Hildener Familie Bernstein. Die Ergebnisse zeigten sie in einer Ausstellung.

Und wie geht Haan mit der NS-Zeit um? Gestern zum 9. November gab es keine offizielle Gedenkveranstaltung. 2013 zum 75. Jahrestag berichtete der Haaner Historiker Dr. Reinhard Koll im Gedenk-Gottesdienst der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde Gruiten über die Pogromnacht in Gruiten. Der Haaner Verein Kirchenmusik gewann den international renommierten Klarinettisten Christian Dawid mit dem Projekt "Bluer than blue" für ein Konzert in der evangelischen Kirche. Ein regelmäßiges städtisches Gedenken an den 9. November gibt es nicht. 2007 wurden in der Gartenstadt zwei Stolpersteine verlegt. Einer erinnert an Jeanette Höhn aus Haan. Er wurde auf Anregung der CDU verlegt und auch von ihr bezahlt. Der zweite Stolperstein erinnert in Gruiten an den Kommunisten Max Kramer. Bezahlt wurde der Gedenkstein von einem Bürger aus Ratingen, so Stadtarchivarin Birgit Markley. Dieser Stolperstein wurde kürzlich gestohlen. Die Bürgermeisterin habe Anzeige erstattet. Markley geht davon aus, dass der Stolperstein für Max Kramer ersetzt wird. Das könne allerdings bis zu drei Jahre dauern - weil der Künstler Gunter Demnig so viel zu tun habe. Ab und zu recherchierten Oberstufenschüler für Referate im Stadtarchiv. Das sei aber eher selten. Fazit: Die Geschichte Haans zur Zeit des Dritten Reiches ist gut aufgearbeitet. Es fehlt aber eine Erinnerungskultur so wie in Hilden - und offenbar auch der Konsens, dass das gemeinsame Gedenken an den 9. November wichtig ist.

(RP)
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