Haan-Gruiten Predigthaus diente 200 Jahre lang als Schule

Haan-Gruiten · Für 20 Reichstaler verkauften Bürger der evangelischen Gemeinde ein Gelände zwischen Düssel und Qualler Teich zum Bau eines Hauses.

 Hundert Jahre alt ist dieses Klassenfoto vor dem Gruitener Predigthaus, das Archivar Lothar Weller in alten Unterlagen entdeckte.

Hundert Jahre alt ist dieses Klassenfoto vor dem Gruitener Predigthaus, das Archivar Lothar Weller in alten Unterlagen entdeckte.

Foto: Kirchenarchiv Gruiten

Es ist mal wieder eine dieser wunderbar kuriosen Geschichten, die Lothar Weller inmitten verstaubter Archivarien ausgegraben hat. Würde man einen Roman daraus machen, würde der einladende Klappentext wohl wie folgt klingen: Jahrelang vagabundierte der Prediger der reformierten Gemeinde durch Gruiten. Vielleicht nicht gerade mit Zelt und Schlafsack, sondern wohl eher von einem Bett zum anderen. Sollte an dieser Stelle die Fantasie mit dem geneigten Leser durchgehen, sei hier gesagt: Nein, es war nicht so, wie Sie denken! Selbstverständlich war der Kirchenmann kein Hallodri mit wechselnder Bettgesellschaft. Dass er zum Vagabundenleben verurteilt war, hatte eigentlich nur einen Grund: Es gab kein Pfarrhaus.

Zumindest bis zu dem Tag, als es einer Gruitenerin in den Sinn kam, dass ein paar neue Schuhe doch eigentlich eine richtig gute Idee wären. Ob sie ihrem Gatten mit ihrem Gequengel lange genug in den Ohren lag, oder ob der einfach nur ein Herz für den wohnungslosen Pfarrer hatte: Wir wissen es nicht. Jedenfalls nahmen die Dinge vor genau 333 Jahren ihren Lauf. Und weil Schuhe-Shoppen damals noch nicht ging, verkauften die Eheleute der Gruitener Gemeinde einfach ein Grundstück. "Es kostete damals nur 20 Reichstaler und eben jenes Paar Schuhe", berichtet Lothar Weller von seinen Recherchen. Nur 20 Reichtaler? Das hört sich nach einem Schnäppchen an. Und das war es wohl auch - vermutlich auch deshalb, weil die Gefahr groß war, dort schon bald mit beiden Füßen im Wasser zu stehen. "Zwischen Düssel und Qualler Teich gelegen, war das Grundstück oft überflutet", weiß der Hobbyhistoriker. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für ein Predigthaus, in dem nicht nur der Pfarrer wohnen sollte, sondern auch die Gemeinde ihre Gottesdienste abhalten wollte. Aber wer sagt schon "nein" in schwierigen Zeiten.

Am 15. August 1682 wurden dann also 20 Reichstaler und ein paar Schuhe über den Tisch geschoben. Der Tausch war besiegelt. Und eigentlich wollte man sich auch beeilen mit dem Bau des neuen Predigthauses. Wäre da nicht die katholische Kirche gewesen, die in Gruiten zwar immer einen Pfarrer, aber nie eine Gemeinde hatte. Vermeintliche Verirrungen des Glaubens wollte man dennoch nicht hinnehmen - und so wurden vier Tage nach Baubeginn kurzerhand die Gerichte bemüht.

Der Weiterbau wurde untersagt - die Reformierten scherten sich nicht darum. Der Richter wurde ein zweites Mal bemüht, notfalls sollte das Urteil mit "Schützengewalt" durchgesetzt werden. "Im Winter reiste schließlich eine hochrangige Kommission regierender Fürsten an", zitiert Lothar Weller aus den Annalen. Die edlen Herren sprachen ein Machtwort - das Predigthaus wurde gebaut. Das Presbyterium fasste das ganze Hin und Herr später in einem Satz zusammen: "Der Teufel konnte dieses Haus nicht leiden."

Vier Jahrzehnte später waren Pfarrer und Gemeinde übrigens schon wieder ausgezogen. Gepredigt wurde fortan in der neu gebauten reformierten Kirche, dafür zogen für 200 Jahre Schüler in das reformierte Schulhaus. Bei Regenwetter dürfte der Unterricht zum Abenteuer geworden sein. "Bis zur Umleitung der Kleinen Düssel über den Dorfanger musste das Predigthaus oft sogar mehrmals im Jahr dem Hochwasser trotzen", weiß Lothar Weller,

(RP)
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