Grevenbroich Wilhelm Schiefer: "Kunst schaffen ist wie verliebt sein"

Grevenbroich · Wer es geschafft hat, 80 Jahre alt zu werden, dem ist der Ernst des Lebens wahrscheinlich schon öfters begegnet. Für Wilhelm Schiefer, den Menschen und Künstler, ist er ein ständiger Begleiter. "Man merkt das Alter, die kleinsten Kleinigkeiten werden beschwerlicher", sagt er. Und trotzdem: Wenn sich der Vorster in seinem Lieblingssessel zurücklehnt und auf den großen, traumhaft schönen Garten schaut, dann wirkt er zufrieden - im Reinen mit sich, seinen Entscheidungen und seiner Lebensleistung.

Am kommenden Dienstag feiert Kaarsts renommiertester Bildhauer, Gründungsmitglied der Künstlergruppe Salix und der "Architekt" der "Brücken über den Nordkanal", seinen 80. Geburtstag. Die Feier mit 120 Gästen findet vier Tage später auf dem Tuppenhof statt. "Weil ich den Tuppenhof so liebe", sagt Wilhelm Schiefer. Die Bäume auf dem Grundstück des historischen Bauernhofs grenzen unmittelbar an Schiefers Garten an. Im Mai fand auf dem Hof eine Einzelausstellung zu seinen Ehren statt.

Alle drei Kinder und sechs Enkel werden am Samstag kommen, Familienmitglieder, liebe Freunde, Kaarster Künstler und Weggefährten, Kollegen aus Düsseldorf und auch ehemalige Schüler vom Georg-Büchner-Gymnasium. "Nach fast achtzigjährigem, fast ununterbrochenem Lebensernst möchte ich mal eine heitere Pause einlegen", sagt Schiefer - um gleich hinterher zu schieben: "Das wird vermutlich meine letzte große Geburtstagsfeier sein".

Geboren wurde Schiefer, der Anfang der 1970er Jahre nach Vorst zog, 1935 in Düsseldorf-Heerdt. Die Liebe zur Kunst ist für Wilhelm Schiefer, der von 1958 bis 1963 Bildhauerei bei Professor Székessy an der Düsseldorfer Kunstakademie sowie Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Bonn und Freiburg studiert hat, ein Art "Familienerbstück". "Ich stamme aus einem Handwerkerhaushalt", erzählt der Noch-79-Jährige. "Mein Vater war ein begnadeter und gefragter Kunstschmied, obwohl er dieses Handwerk eigentlich nie wirklich gelernt hatte. Ich erinnere mich, dass ich ständig in der Schmiede war. Es gab fünf Feuerstellen und an jeder arbeiteten zwei Gesellen, das fand ich faszinierend."

Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Schiefers als "kinderreiche Familie" in die Rhön evakuiert. Dort lernte Wilhelm Schiefer einen Holzbildhauer aus Köln kennen, der die Modelle für seine Kruzifixe aus Lehm formte.

"Irgendwann nach diese Begegnung und der Lektüre eines Buches namens ,Das Leben des Michelangelo' war für mich klar: Das willst du auch machen", erinnert er sich. Dann habe ich angefangen zu zeichnen." Seine Eltern hätten ihn lieber als Juristen oder Pfarrer gesehen. "Künstler und Lehrer an einem Gymnasium", sagt der Bildhauer, dessen Werke unter anderem vom Deutschen Bundestag und vom Land NRW angekauft wurden, "war am Ende aber auch ein akzeptabler Lebensentwurf."

Künstlerisch motiviert hat Wilhelm Schiefer ein Leben lang das, was ihn emotional bewegt: Kriege und das damit verbundene Leid zum Beispiel, der Contergan-Skandal Anfang der 1960er Jahre, menschliche Abgründe. Zu einem seiner ältesten Exponate gehört der "Vietnam-Altar".

Die meisten von Schiefers Objekten - dreidimensionalen Plastiken und Holzarbeiten, mal winzig klein, mal riesig groß - spielen mit der Perspektive. Sie wirken abstrakt und doch realistisch, so wie die "Brücken über den Nordkanal". Es gibt aber auch zweidimensionale Bilder, in Schwarz-Weiß gehaltenen und meist aus Metallplatten ausgesägt. "Wahres Glück", sagt der Künstler, "ist für mich, wenn ich in meiner Werkstatt sitze und beginne, eine Idee zu realisieren. Das ist ein Gefühl wie verliebt sein oder, den eigenen Kindern beim Spielen zuzusehen."

(NGZ)
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