Grevenbroich So kratzt der Griffel auf der Schiefertafel

Grevenbroich · Die 1950er Jahre-Retrospektive in der Villa Erckens weckt verschollene Kindheitserinnerungen: ein Selbstversuch.

 Schiefertafeln, Tafelläppchen und kratzende Griffel plagten die i-Dötzchen in den 50er Jahren.

Schiefertafeln, Tafelläppchen und kratzende Griffel plagten die i-Dötzchen in den 50er Jahren.

Foto: L. Berns

Die Kindheitserinnerung an die 1950er Jahre ist ein wundersames Ding: Da ersteht scheinbar Verschollenes auf einmal nahezu plastisch und zum Greifen nah in der Sonderausstellung der Villa Erckens wieder auf. Fast vergessene Kindheitserinnerungen werden wach in Bildern, sogar in Gerüchen und Geräuschen.

 Familiendokumente wurden mit den ersten Tonbändern aufgenommen.

Familiendokumente wurden mit den ersten Tonbändern aufgenommen.

Foto: Berns Lothar

Die 50er Jahre in Grevenbroich sind auch die 50er Jahre einer ganzen Generation aus anderen Teilen des Landes. Sie waren die prägenden Jahre auch einer heute 58-Jährigen, denn diese Epoche wirkte lange in die 60er Jahre nach. Sie war so "haltbar" (heute würde man nachhaltig sagen), wie ihre Produkte: Omas stabiles schwarzes Telefon mit Wählscheibe "lebt" heute noch und hat natürlich auch seinen Platz in dieser Ausstellung.

Die Einschulung in den Endfünfzigern und den frühen 60er Jahren war mit einem ganz bestimmten Mief und einem unangenehmen Geräusch verbunden: der Gestank des feucht-modrigen Tafelschwämmchens und das quietschende Griffelkratzen auf der Schiefertafel. Der Ledertornister, aus dem das stets schmutzige, umhäkelte Tafelläppchen heraushing, die Schiefertafel, die mehr als einmal zerbrach, versetzen allerdings auch zurück in "Leidenszeiten", als die Lehrer zumindest die Jungen noch schlugen. Mädchen wurden stattdessen mit einem überaus stupiden Handarbeitsunterricht gestraft: Das Nadelmäppchen aus grobem Stoff, mit Stickmusterproben verziert, steht für diese Zeit und vor allem für das Frauenbild der 50er.

"Wenn ihr das Sockenstopfen nicht lernt, bekommt ihr keinen Mann mit": Dieses Originalzitat einer Handarbeitslehrerin klingelt auf einmal (laut) in den Ohren. In die 50er Jahre fiel auch der erste Italienurlaub mit dem eigenen Auto, verbunden mit einem besonderen Tankstellenerlebnis. Beim Anblick der alten Tankstellenfotos wird es wieder lebendig, das Bild des feuerspeienden Drachens auf den Fahnen der italienischen Agip-Tankstellen. Die bunt gestreiften Sonnenschirme der 50er auf dem Foto vom Freibad Grevenbroich gab es auch anderswo, ebenso gelbe oder grüne Strandliegen mit dicken Plastikstreifenauflagen, die am Körper klebten und beim Aufstehen ein "apartes" Muster hinterließen.

Selbstverständlich wurden Sonnenschirm und Liegen mit ins Auto gepfropft, wenn in den 50er Jahren für den Urlaub nicht nur die Badehose eingepackt und in manchen Fällen tatsächlich auch das kleine Schwesterlein mitgenommen wurde, wie in dem bekannten Schlager.

Ging's allerdings ins heimische Freibad, da war das Wasser ohne Umwälzanlage und Beckenheizung noch eine richtige Abkühlung. Und Blondhaarige bekamen im Sommer öfter mal einen Grünstich durch die unvermeidliche Algenbildung in den Bädern. Die Kindheit, die sich im Grevenbroicher Museum wiederfindet, das waren auch Familienfeiern, bei denen Mamas oder Omas bestes Geschirr und die "juten Jläser" auf den Tisch kamen. Als "Likörchen" verniedlicht, kam der hochprozentig aufgesetzte Schnaps mit Beeren aus dem eigenen Garten in die Gläser. Zu futtern gab es Schnittchen und die unverwechselbaren "Fliegenpilze": mit Fleischsalat gefüllte Tomaten und Mayonnaise-Klecksen auf den Tomatendeckelchen.

Die absolute Attraktion war das erste Tonbandgerät - in der Ausstellung zu sehen - und in manchen Familien sogar noch durch nachträglich digitalisierte Sprach- oder Musikaufnahmen bis heute wertgeschätzt. In dieser Elterngeneration wurden besonders gerne die ersten Worte ihres hoffnungsfrohen Nachwuchses per Tonband dokumentiert. Das hörte sich dann etwa so an: "Sag' mal Mama!", sagt Mama. "Papa", spricht die einjährige Tochter auch nach dem zehnten "Sag' mal Mama" ins Mikrofon. Dann bricht die Aufnahme ab, die Erinnerungen sind aber durch die 50er-Jahre Ausstellung wieder da.

Info: Öffnungszeiten der Ausstellung "Nierentisch & Wirtschaftswunder - Die 1950er in Grevenbroich" - bis 2. Oktober, Museum Villa Erckens, Am Stadtpark, mittwochs, donnerstags, samstags, sonntags von 11 bis 17 Uhr, freitags von 9 bis 13 Uhr. Führungen werden nach Vereinbarung angeboten . Eintrittspreise: Erwachsene vier, Kinder 1,50 Euro. Bis sechs Jahre haben Kinder freien Eintritt.

(NGZ)
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