Goch Mediale Wirklichkeit der aktuellsten Art

Goch · Im Museum Goch wird am Sonntag die Ausstellung "Wirklich Jetzt!" eröffnet. Es geht um die Frage, was uns alle im Augenblick bewegt, wie wir unsere Umgebung erfahren und beeinflussen. Für den Diskurs braucht's ein offenes Haus.

 Eli Cortinas macht sich Gedanken um das Verhältnis von Mensch und Tier und trägt hier eine Bärenmaske.

Eli Cortinas macht sich Gedanken um das Verhältnis von Mensch und Tier und trägt hier eine Bärenmaske.

Foto: Evers Gottfried

Das Kunsthaus Essen ist als Mischung von Atelier und Kunstverein beileibe nicht die einzige Adresse in der Ruhrgebiets-Großstadt, wo sich Kunstschaffende und Besucher zum Dialog treffen. Anders in Goch: Da gibt es als einen solchen Ort praktisch nur das Museum, sagt dessen Leiter Dr. Stephan Mann. Und deshalb sei die Einrichtung so eminent wichtig und unverzichtbar. Beide Begegnungszentren, das in Essen und das in Goch, haben eine gemeinsame Ausstellung vorbereitet, die am morgigen Sonntag eröffnet wird. "Wirklich jetzt!" heißt sie und stellt aktuelle Arbeiten von Jérome Gerull, Malte Stienen, Johanna Reich, Henning Frederik Malz und Eli Cortinas vor.

"Über die Existenzberechtigung von Museen wird überall laut nachgedacht", sagt Mann. Knappe Kassen bedrohten manches Haus, das doch nicht nur für schöne Dinge wie etwa alte Gemälde da sei, sondern ebenso für die Auseinandersetzung mit dem Jetzt. Deshalb widme sich das Museum Goch seit 15 Jahren der zeitgenössischen Kunst. Die Gegenwartskunst, die die Teilnehmer an der Ausstellung schaffen, muss natürlich ihren ästhetischen Ausdruck finden.

Und das geschieht vorwiegend in Video-Arbeiten und Installationen. Der Gocher Museumschef wagt auch die Frage: "Welche Trends, Sichtbarkeiten und Phänomene unserer Lebenswirklichkeit sind kunst- und ausstellungswürdig?" Denn ein Museum treffe für seine Ausstellungen immer eine Auswahl, beziehe schon damit eine - diskussionswürdige - Position.

 Die Beatles, Liz Taylor und andere Berühmtheiten sind Teil der Video-Installation von Johanna Reich.

Die Beatles, Liz Taylor und andere Berühmtheiten sind Teil der Video-Installation von Johanna Reich.

Foto: eve

Ideen nur auszusprechen oder medial zu transportieren ist nicht genug, meint Mann. "Wir Menschen nehmen Dinge sinnlich wahr, brauchen eine Brücke zum Begreifen und Verstehen. Der Aha-Effekt geschieht im Moment des Sehens." So weiß heute praktisch jeder, dass sich die Relevanz von Themen durch Nutzung von Internetdiensten beeinflussen lässt.

Das macht Malte Stienen mit seiner "Angstmaschine" deutlich: Der "Seismograf" druckt alle Twitter-Tweets aus, die das Wort "Angst" enthalten - die Papierschlange wird länger und länger, während der Betrachter davor steht. "Bei Gewitter rattert die Maschine noch schneller", erklärt Steffen Fischer, der zweite Mann des Museums Goch, schmunzelnd. "So wird das Jetzt förmlich produziert."

Ein Diskurs über unsere Lebenswirklichkeit in Stadt oder Natur wird erst durch Austausch mit anderen Menschen möglich - auch dafür ist ein offenes Haus der Kunst wichtig, sagt Dr. Mann. Johanna Reich hat zu den Vorbildern junger Mädchen gearbeitet, dabei verschiedene Medien vermischt. Bewegte Bilder der Mädchen werden über kaum erkennbare Porträts berühmter Menschen wie George Harrison oder Liz Taylor gelegt; keine Frage, dass es bei diesen Überlagerungen um die Frage von Identität und Individualität geht.

Henning Malz wiederum transportiert mit seiner dreidimensionalen Installation Fragen von Raum und Zeit. Bedrohlich schweben dunkle Köpfe zwischen reflektierenden Bändern und einem Bildschirm, der scheinbar harmlose Maisfelder zeigt. "Viel Raum zum Assoziieren", meint Dr. Mann. Eli Cortinas lässt künstliche Schmetterlinge durch eine Voliere flattern und zeigt sich selbst mit Bärenmaske als Hotelgast. Der allgegenwärtige Mensch-Tier-Konflikt.

Welchen Einfluss die Gesellschaft auf das städtische Umfeld hat, damit beschäftigt sich Jérome Gerull. Unter anderem hat er junge Leute begleitet, die illegal Kunst schaffen und sie heimlich im öffentlichen Raum platzieren. Es gibt auch Porträts. Die anonymen Künstler verhüllen dabei ihre Gesichter, um nicht erkannt zu werden.

Frei denken und darüber sprechen - das ist im Museum Goch jederzeit möglich. Wer eine Anleitung wünscht, kann bei der Eröffnung am Sonntag um 11.30 Uhr Dr. Mann und Dr. Uwe Schramm vom Kunsthaus Essen zuhören und/oder den Katalog zur Ausstellung kaufen. Zu erleben ist "Wirklich Jetzt!" bis zum 4. September.

(RP)
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