Geldern Zwangsprostitution am Niederrhein

Geldern · Die 19-jährige Litauerin Tatjana freute sich auf einen Urlaub in Deutschland. Doch sie tappte in eine Falle. Die junge Frau fiel am Niederrhein brutalen Zuhältern in die Hände. Die Grünen wollen, dass der Zeugenschutz für Zwangsprostituierte verbessert wird.

 Der Nachtclub "La Residence" in Wachtendonk. Dort musste Tatjana als Prostituierte arbeiten.

Der Nachtclub "La Residence" in Wachtendonk. Dort musste Tatjana als Prostituierte arbeiten.

Foto: RP, Gerhard Seybert

Tatjana entkam, als ihre Bewacher betrunken waren. Die Tür des Notausgangs war nicht verriegelt. "Jetzt oder nie", erkannte die 19-Jährige. Am frühen Morgen floh sie zu Fuß aus dem Bordell "La Residence" in Wachtendonk am Niederrhein. Dort war die junge Litauerin von der damaligen Inhaberin zur Prostitution gezwungen worden. Von einer Tankstelle alarmierte sie die Polizei. Das Ende eines Martyriums.

Tatjana war von einer skrupellosen Freundin nach Deutschland gelockt worden. In dem Glauben, sie würden zu einer Urlaubsreise aufbrechen, fuhren die Frauen mit einem Touristenvisum nach Berlin. Dort angekommen, wurden sie von einem Landsmann empfangen, der beide in eine Wohnung brachte. "Mir wurde erklärt, ich hätte Schulden wegen der Kosten für die Reise und das Visum", berichtet Tatjana. "Mir wurde der Pass abgenommen. Da wurde mir klar, dass ich in eine Falle getappt war."

Wie sich später herausstellt, hatte die "Freundin" Tatjana für 100 Euro an einen Zuhälter in Berlin verkauft. Die Litauerin wird in einer Hochhauswohnung festgehalten, wo sie von einem deutschen Ehepaar bewacht wird. Der Mann fährt Tatjana mit dem Auto zu ihren Kunden. Flucht ist unmöglich.

Die Zuhälter setzen Tatjana unter Druck. Sie drohen, ihrer Familie in Litauen etwas anzutun. Und machen ihr Angst vor den deutschen Behörden. Sie würde ins Gefängnis kommen, heißt es. Schließlich sei sie illegal in Deutschland. Das Mädchen ist verzweifelt.

Nach einem Selbstmordversuch scheinen die Zuhälter ein Einsehen zu haben. Tatjana soll ihre Koffer packen, man verspricht ihr, sie würde nach Hause gebracht. Doch die Fahrt endet nicht in Litauen, sondern am Niederrhein. Der Berliner hat das Mädchen für 3000 Euro an die Betreiber des "La Residence" verkauft. "Dort arbeiteten damals viele Mädchen freiwillig", berichtet Tatjana. "Die, die sich in den Ecken herumgedrückt haben, wurden zur Prostitution gezwungen."

Nach ihrer Flucht kümmert sich die Düsseldorfer Frauenberatungsstelle um Tatjana. Die Einrichtung verfügt über Wohnungen, wo sie die Opfer von Zwangsprostitution unauffällig unterbringen kann. "Die Angst, wieder in die Hände der Zuhälter zu fallen, ist enorm", sagt die Beraterin Julia Stolz.

Vor allem Frauen aus Staaten, die nicht der Europäischen Union angehören, haben Angst, gegen ihre Peiniger als Zeugen aufzutreten. "So droht unter anderem Zwangsprostituierten aus Nigeria und Russland nach dem Prozess die Abschiebung", sagt Monika Düker, innenpolitische Sprecherin der Grünen im Düsseldorfer Landtag. "Das Dunkelfeld ist enorm. Wir gehen davon aus, dass 50 Prozent der Fälle von Menschenhandel ungeahndet bleiben, weil zu Hause die Komplizen der Täter auf die Opfer warten."

Die Grünen fordern NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP) auf, sich in der Innenministerkonferenz für eine Gesetzesänderung einzusetzen. Die soll es ermöglichen, dass die Opfer von Zwangsprostitution unter die Kronzeugenregelung fallen. Unterstützt werden sie dabei vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BdK). Wilried Albishausen, Vorsitzender des BdK in NRW, ist sich sicher: "Wir kommen ohne die Ausweitung des Zeugenschutzprogramms auf Zwangsprostituierte nicht an die Drahtzieher des Menschenhandels heran."

Tatjana ist nach ihrer Verschleppung nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt. Immer wieder hatten verdächtige Männer in Autos vor dem Haus ihrer Mutter geparkt und auf ihre Ankunft gewartet. Die Litauerin lebt in Düsseldorf und versucht durch eine Therapie, ihr Trauma zu überwinden. Die ehemalige Inhaberin des Bordells in Wachtendonk wurde zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten wegen schweren Menschenhandels in sechs Fällen verurteilt. Der Mann, der Tatjana in Berlin weiterverkauft hatte, muss für fünf Jahre und drei Monate ins Gefängnis.

(RP)
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