Geldern Migration war für Wiktoria eine Chance

Geldern · Viele junge Ausländer haben in der Schule Probleme wegen mangelnder Deutschkenntnisse. Nicht so Wiktoria (20). Die Polin nutzte ein Stipendium zur Vorbereitung auf das Abitur.

Einer Lehrerin an der Realschule hat Wiktoria (20) zu verdanken, dass ihr als frischgebackener Abiturientin nun viele Wege offen stehen. Denn als das Mädchen mit elf Jahren ohne Deutschkenntnisse an den Niederrhein kam, weil die Mutter sich für ihr Kind eine bessere Ausbildung erhoffte, war erst einmal alles schwierig. Doch Wiktoria kniete sich ins Lernen rein, bis ihre Französischlehrerin sie auf die START-Stiftung aufmerksam machte. Durch deren Unterstützung gelang auch der Wechsel zum gymnasialen Zweig am Berufskolleg in Kleve. Demnächst wird die junge Frau für ein Jahr nach Neuseeland gehen und dann Meeresbiologie studieren.

"Als wir Polen verließen, lebten wir zunächst einige Monate in Mecklenburg-Vorpommern. Ich sprach kein Wort Deutsch und lernte das meiste, weil ich nachmittags immer KiKa schaute. ,Schloss Einstein' im Kinderprogramm hat mich echt gerettet", scherzt die heute 20-Jährige. Weil sie Freunde am Niederrhein hatten, zogen Mutter und Tochter dann nach Bedburg-Hau. "Ich war noch einige Monate auf der Grundschule und sollte dann, weil ich ja noch immer wenig Deutsch sprach, auf die Hauptschule", erinnert sich Wiktoria. Die energische Mutter setzte aber durch, dass die Tochter schließlich auf die Realschule kam.

Dort hängte sich die Schülerin total ins Lernen rein. "Ich kaufte mir ein riesengroßes Wörterbuch und beschloss, jeden Tag zehn neue deutsche Vokabeln zu lernen. Das hab' ich durchgezogen. Trotzdem gab es noch nach Jahren Situationen, wo mir ein Wort fremd war. Zum Beispiel kam in einem Test mal ,Geier' vor, das fanden meine Mitschüler komisch, dass ich damit nichts anzufangen wusste." Der Tipp ihrer Französischlehrerin, sich doch mal bei der START-Stiftung zu bewerben, half dann aber erheblich weiter.

Die Stiftung fördert talentierte Migrantenkinder, deren Eltern nicht genug verdienen, um den Nachwuchs intensiv zu unterstützen. Wiktorias Mutter, alleinerziehende Musikerin, erfüllte diese Voraussetzung. Es lockten 100 Euro monatlich als "Bildungsgeld", und dazu die langfristig wahrscheinlich noch wichtigeren Seminare, Treffen und Kontakte, die den Jugendlichen geboten werden. Wiktoria überzeugte nicht nur mit guten Noten, sondern auch mit ihrem sozialen Engagement. "Ich habe Nachhilfe gegeben, war im Förderverein meiner Schule und bei der Schülerzeitung aktiv", erzählt sie. Natürlich, das Geld war eine Hilfe. "Damit konnte ich mir auch mal eine Enzyklopädie oder interessante naturwissenschaftliche Bücher kaufen."

Wiktoria, die Biologie und Ernährung als Abiturfächer wählte, möchte Wissenschaftlerin werden. "Ich denke, dass ich in Kiel oder Bremen Meeresbiologie studieren werde. Eigentlich hatte ich das ja in England vor, aber nach dem Brexit wird das wohl nichts mehr", sagt sie und deutet die ausländerfeindlichen Tendenzen auf der Insel an.

Die junge Polin liebt an ihrem heutigen Leben gerade die Möglichkeit, mit Menschen aus verschiedensten Ländern in Kontakt zu kommen. "Die Stipendiaten treffen sich alle zwei Monate zu Seminaren. Da geht's um Kommunikation, um Kreativität, es wird über Politik, Religion und Kultur gesprochen. Junge Leute aus Vietnam, Somalia oder dem Irak kommen mit Europäern ins Gespräch und staunen oft, wie viel Gemeinsames sie haben", berichtet sie.

Mit dem Abitur muss die Gemeinschaft der Stipendiaten keinesfalls beendet sein. Viele "Alumni" (Ehemalige) bleiben der Stiftung verbunden, bringen sich später selbst dort ein und nehmen Jüngere unter ihre Fittiche. Das übt Wiktoria jetzt erstmal in Neuseeland, wo sie als Au-Pair "drei süße rothaarige Kinder" betreuen wird.

Vor der englischen Sprache hat sie keine Sorge, denn diese Fremdsprache lernt sie ja schon lange. "Im Vergleich zum Deutschlernen in einer Klasse, wo fast alle anderen Muttersprachler waren, war Englisch ein Klacks."

(RP)
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