RP-Serie "50 Jahre Kinder- und Jugendpsychiatrie der LVR-Klinik (3)" Mädels müssen sich selbst akzeptieren

Geldern · Heute leidet jedes fünfte Kind zwischen elf und 17 Jahren an einer Essstörung. Je eher man sie behandelt, desto größer die Chancen auf eine Besserung. Ergotherapeutin Josefine Lux arbeitet mit ihren "Mädels" die Probleme auf.

 Josefine Lux, kreative Fachtherapeutin für Essstörungen/Körperbildarbeit.

Josefine Lux, kreative Fachtherapeutin für Essstörungen/Körperbildarbeit.

Foto: Gottfried Evers

Tinkerbell hat alles im Griff: Einmal mit dem Feen-Zauberstab einen Sterneflimmernden Feenstaub durch die Luft gewirbelt, und schon sind alle Probleme gelöst. Ist ja auch einfach, wenn man mit Peter Pan in einer Märchenwelt lebt. Tinkerbell liegt als kleine Figur in einer festen Holzkiste, die auf dem Tisch der Ergotherapie in der Kinder- und Jugendtherapie steht. Auf dem Tisch gegenüber heißt es auf einer schwarzen Tafel in krakliger Kreideschrift: "Ich löse meine Probleme mit Feenstaub." In dem Raum arbeitet Josefine Lux, kreative Fachtherapeutin für Essstörungen/Körperbildarbeit, die Probleme ihrer "Mädels" auf. Mädels, die Essstörungen haben. Diese Probleme lassen sich nicht mal eben kurz mit Feenstaub meistern: "Es ist ein langer Weg, den wir zurücklegen müssen, damit der Patient sich so sieht wie er ist und sich annimmt und wertschätzt", sagt Lux. Es kann ein steiniger Weg werden, nicht wenige unterbrechen die Therapie, nicht wenige sind zunächst uneinsichtig, überhaupt behandelt werden zu müssen. Und doch schaffen von ihr betreute Mädchen wieder den Weg in ein normales Leben.

Wenn sie erstmals den großen Raum in dem flachen Bau von Haus 55 auf dem Gelände der LVR-Klinik betreten, sind die Jugendlichen emotional belastet, starr und in ihrer Autonomie stark verunsichert. "Jugendliche, die noch nicht zu sich selbst gefunden haben, können über das körperliche und kreative Erleben Zugang zu ihrem Selbst finden", sagt Lux. Die Therapeutin gibt ihren Mädels klare Regeln. Regel eins: "Ehrlich sein, was das Selbst und den Körper, was die Gefühle betrifft." Regel zwei: "Erst ausprobieren, danach kann man immer noch meckern", sagt Lux. Regel drei: "Stelle Fragen, Fragen und noch mehr Fragen! Du musst verstehen wie und warum es dir so geht."

 Auch Feenstaub kann Teil der Arbeit an sich selbst sein.

Auch Feenstaub kann Teil der Arbeit an sich selbst sein.

Foto: Evers Gottfried

Es sind hauptsächlich Mädchen, die mit Essproblemen kommen, nur vereinzelt gibt es Jungs. Die Tendenz sei aber steigend. Es sind meist Kinder aus überbehüteten, fürsorglichen Häusern. Die Eltern gelten als leistungsorientiert, sehr harmonisch und festhaltend. Die jungen Patienten sind so stark und diszipliniert, dass sie sogar ihr Hungergefühl wegdrücken können. Bis hin zur Lebensgefahr.

Heute leidet jedes fünfte Kind zwischen elf und 17 Jahren unter Symptomen einer Essstörung. "Die Dunkelziffer ist sehr hoch", sagt Lux und betont: "Je früher man mit der Behandlung beginnt, desto besser die Prognose für die Heilung." Die Störungen entwickeln sich teilweise über Jahre und können chronisch werden, erklärt sie. Die Kinder müssen der Welt draußen gefallen. Sie stehen unter starkem Druck: gegenüber der Schule, gegenüber den Idolen der Medien, gegenüber den Freunden, gegenüber den Eltern, die sie nicht enttäuschen wollen. Das Gefühl der Leere, das nicht gesehen, nicht gehört, nicht gehalten werden, kann schon sehr früh beginnen, mahnt Lux.

Nach der Aufnahme in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der LVR-Klinik Bedburg-Hau (ambulant oder stationär) stehen für die jungen Patientinnen zunächst Einzelgespräche mit dem Arzt und Psychologen an. Während die Essgewohnheiten auf der Station behandelt werden, Esspläne aufgestellt und kontrolliert werden, es eine Ernährungsberatung gibt, versucht Lux, ebenfalls in Einzelsitzungen, den Blick der Patienten auf den eigenen Körper zu richten.

"Sie dürfen erst einmal ein Körperbild gestalten, wie sie sich sehen, sie dürfen mit verschiedenen Farben darstellen, welche Zonen sie angenehm, welche sie unangenehm empfinden", sagt sie. Ziel: Die Mädels sollen sich selbst kennenlernen. "Über die Körperarbeit lernen sie auch ihre angenehmen und unangenehmen Emotionen und Körperreaktionen wahrzunehmen sowie ihren Körper als positiv zu erleben. Ich gebe den Mädels auch Hausaufgaben auf: Sie sollen über sich reflektieren und die Inhalte aus der Therapie weiter festigen", erklärt sie.

Später geht es vor den Spiegel, den viele Menschen mit Essstörung kaum ertragen können. "Wir betrachten zunächst die Augen, die meisten sind mit ihren Augen zufrieden. Danach wenden wir uns den anderen Partien des Körpers zu." Die werden nicht nur im Spiegel betrachtet, sondern auch erfühlt.

Über die gezielte Spiegelarbeit werde die Sicht auf den Körper aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Spielerisch und ohne Bewertungen sollen dabei die Körpergrenzen über verschiedene Sinne wahrgenommen und mit positiven Körpererfahrungen verknüpft werden.

(RP)
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