Straelen Liebe zum Deutschen wuchs in Armenien

Straelen · Gayane Ginoyan arbeitet als Dozentin an der Brjussow-Universität in Jerewan. Seit 2010 hat sie das Übersetzen für sich entdeckt. Drei Monate lang arbeitet sie als Translator in Residence. In Arbeit hat sie auch ein Buch von Schlink.

 Gayane Ginoyan arbeitet während ihres Aufenthalts in Straelen an Bernhard Schlinks Erzählband "Liebesfluchten". Im Hauptberuf ist Gayane Ginoyan Dozentin für deutsche Sprache an der Brjussow-Universität in Jerewan.

Gayane Ginoyan arbeitet während ihres Aufenthalts in Straelen an Bernhard Schlinks Erzählband "Liebesfluchten". Im Hauptberuf ist Gayane Ginoyan Dozentin für deutsche Sprache an der Brjussow-Universität in Jerewan.

Foto: Seybert

Was anders ist als in ihrer Heimat, dafür muss Gayane Ginoyan nicht lange überlegen. Dafür muss sie nur einen Blick aus dem Fenster des Straelener Übersetzerkollegiums werfen. "Die Fahrräder hier", sagt die Übersetzerin, die aus Jerewan kommt. Jerewan ist die Hauptstadt Armeniens. Um die Relationen zu verdeutlichen: Die Bevölkerung des Landes beträgt drei Millionen, eine Million Menschen wohnt in Jerewan.

Armenien als kleines Land zu bezeichnen, wäre aber zu kurz gedacht. "Der Unterschied klein oder groß spielt keine Rolle, es ist mein Armenien", sagt Gayane Ginoyan und erinnert an den armenischen Komponisten Aram Chatschaturjan. "Der Komponist, der den Unterschied kleine und große Nation weggewischt hat mit seiner Musik, die Weltmusik ist", zitiert sie, wie er einmal bezeichnet wurde.

Im Straelener Übersetzerkollegium trifft sich ohnehin die ganze Welt. Für drei Monate ist Gayane Ginoyan mittendrin, als Translator in Residence. Sie übersetzte bereits Daniel Kehlmanns "Die Vermessung der Welt" und "Die Mittagsfrau" von Julia Franck. "Deutsche Gegenwartsliteratur", beschreibt es die Übersetzerin. Und als Anfängerin sei das auch genau richtig so. "Wenn man viele Jahre Erfahrung hat, Meister des Berufs ist, kann man sich auch an ältere Literatur wagen", sagt sie.

Die Liebe zur deutschen Sprache und vor allem der deutschen Literatur kam durch Christoph Heins "Der fremde Freund". Zunächst habe sie den deutschen Literaten in armenischer Sprache gelesen und sei nicht so begeistert gewesen. Das änderte sich aber, als sie Hein im Original las. "Das ist das Beste der deutschen Literatur", stellte sie für sich fest und ging auf die Suche nach anderen Autoren. Und wurde Übersetzerin.

Im Hauptberuf ist Gayane Ginoyan Dozentin für deutsche Sprache an der Brjussow-Universität in Jerewan. Für den dortigen Bachelor-Studiengang melden sich pro Jahr etwa 200 Leute an. Dass die deutsche Sprache eine schwere Sprache sei, kann die Dozentin und Übersetzerin übrigens nicht bestätigen. "Die deutsche Grammatik mit ihren vier Fällen ist nicht so schwer, im Armenischen haben wir sieben Fälle", sagt sie lachend. Wenn sie die Sprachen vergleiche, dann seien sie sich gar nicht so unähnlich. "Beide Sprache haben diese mathematische Genauigkeit in der Grammatik."

Beim Übersetzen gibt es dennoch einige Eigenheiten, die zu beachten sind. In ihrer Heimatsprache gibt es zum Beispiel kein "sie" und "er". Wenn in deutschen hintereinander hängenden Sätzen mal von "sie" und "er" die Rede ist, ohne konkrete Namen, muss sie schon immer Mann oder Frau nennen, damit der Leser weiß, wer gemeint ist. "Ich denke, die deutschsprachigen Autoren haben eine Liebe zu langen Sätzen", nennt sie noch einen wesentlichen Unterschied und muss dabei an die Übersetzung von Ingeborg Bachmanns "Simultan" denken. "Lange Sätze klingen im Armenischen manchmal fad", sagt sie. Aber als gute Übersetzerin versuche sie eben nicht zu kürzen, sondern beschäftigt sich mit den Eigenheiten der Autoren, liest Rezensionen und wenn nötig historisches Hintergrundmaterial.

In ihrer Heimat Armenien ist Gayane Ginoyan vor allem für die Übersetzung von Bernhard Schlinks "Der Vorleser" bekannt. Weil das bei den armenischen Lesern so gut ankam, setzt sie sich während ihres Aufenthalts in Straelen an Schlinks Erzählband "Liebesfluchten". Die Übersetzung des Romans "Koala" von Lukas Bärfuss ist auch gerade in Arbeit und so gut wie fertig. Zwar werden in ihrer Heimat meist englischsprachige Bücher übersetzt. "Aber die deutsche Literatur wird allmählich geliebt, nicht zuletzt dank der Übersetzungen", sagt Gayane Ginoyan lachend und geht fröhlich weiter ihrer Arbeit nach.

Am Sonntag, 8. Oktober, gibt es von 12 bis 17 Uhr im Übersetzerkollegium einen Tag der offenen Tür. Führungen gibt es jeweils zur vollen Stunde.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort