Issum In Issums Bethaus steht die Zeit still

Issum · In der ehemaligen Synagoge ist alles noch wie vor 150 Jahren. Die Mikwe, das rituelle Bad, ist vorhanden, das alte Schulhaus steht auch noch. Mit Johannes van Leuck geht es auf Zeitreise in das jüdische Leben um 1865.

 Johannes van Leuck vom Arbeitskreis Jüdisches Bethaus in Issum zündet den siebenarmigen Leuchter an. Die Kerzen verdeutlichen die sieben Tage, an denen Gott die Welt erschaffen hat.

Johannes van Leuck vom Arbeitskreis Jüdisches Bethaus in Issum zündet den siebenarmigen Leuchter an. Die Kerzen verdeutlichen die sieben Tage, an denen Gott die Welt erschaffen hat.

Foto: Gerhard Seybert

Wer durch Issum flaniert, kann es leicht übersehen. Das jüdische Bethaus liegt versteckt an der Kapellener Straße, unweit der Weinhandlung. Der Davidstern am Tor weist den Weg zu der ehemaligen Synagoge.

Johannes van Leuck vom Arbeitskreis Jüdisches Bethaus in Issum zückt ein Feuerzeug und beginnt, die Kerzen anzuzünden. Sieben stehen auf dem Leuchter. "Innerhalb von sieben Tagen hat Gott die Welt erschaffen", erklärt van Leuck. "Das Schöne ist, alles im Judentum hat einen Hintergrund", sagt der Issumer fasziniert. Diese Begeisterung und sein Wissen über das Leben der Juden in seinem Dorf gibt er gerne weiter.

Im Dezember 1865 wurde das Bethaus eingeweiht. "Es war die Blütezeit des Judentums am unteren Niederrhein", sagt van Leuck. In Issum lebten 50, in Geldern 150 Menschen jüdischen Glaubens. Danach gingen die Zahlen kontinuierlich zurück. "Schon um 1870 zogen viele Juden in die Städte. Die Verdienstmöglichkeiten waren erheblich besser", erklärt van Leuck. Um 1925 wurde die jüdische Stätte in Issum aufgegeben. Die Gemeinde löste sich auf, es gab keine zehn glaubensfähigen Männer mehr, die die Gemeinde bildeten.

1935 wurde das Gebäude an den Uhrmacher Kliewe, der seinen Sitz um die Ecke hatte, verkauft. Das erwies sich als großes Glück. Er veränderte nichts am Bethaus, es blieb im Originalzustand. Warum die Synagoge frei von nationalsozialistischen Übergriffen blieb, ist schnell erklärt. "Sie war ja durch den Verkauf in arischer Hand, um es mit dem damaligen Sprachgebrauch auszudrücken", sagt van Leuck. "Pogrome hat es aber in Issum auf jeden Fall gegeben. Fenster sind eingeschlagen worden, Gegenstände wurden nach draußen geworfen, Männer wurden verhaftet und bis zu drei Monate ins KZ gebracht", zählt der Issumer auf. Später kam die Deportation.

Das jüdische Bethaus blieb von all dem unberührt. Die ehemalige Synagoge diente vor ihrem Verkauf als Versammlungsraum der jüdischen Gläubigen. "Es ist nicht wie bei uns Christen eine Kirche", versucht van Leuck den Unterschied zu erklären. "Das wirkliche Gotteshaus ist für die Juden der Tempel in Jerusalem, deshalb sind alle Synagogen nach Jerusalem ausgerichtet." Die Synagoge ist ein Ort des Gebetes. In Issum ist direkt neben dem Bethaus das Schulhaus. Dort hat früher der Lehrer gelebt und unterrichtet. Eine Schulbank erinnert noch daran.

Im Obergeschoss ist außerdem ein Tisch gedeckt. Das Arrangement weckt bei den Besuchern das Gefühl, dass jeden Moment der Lehrer um die Ecke kommen könnte. An der Wand hängt ein jüdischer Kalender. Darauf hat gerade das Jahr 5776 begonnen. Die jüdische Zeitrechnung zählt ab der Erschaffung der Welt.

Das Obergeschoss ist heute ein kleines Museum, zeigt zum Beispiel die Gebetsriemen. An den Wänden verdeutlichen Bilder die verschiedenen jüdischen Feste. "Das Thema berührt", sagt van Leuck über seine Erfahrungen, die er mit den Besuchern macht. "Wenn mancher hört, dass Jesus Christus ein Jude war, gerät er ins Grübeln." Ihm sei es wichtig, den Christen zu vermitteln, dass die Wurzeln im Judentum verankert sind.

Bei Schulkindern mit Migrationshintergrund treffe er auf ähnliche Aha-Effekte. "Abraham und bestimmte rituelle Waschungen kennen sie auch", sagt van Leuck. Das jüdische Bethaus hat auch eine erhaltene Mikwe, ein Bad. Die Wände sind blau, dem Himmel nachempfunden. In die Decke ist ein Loch eingelassen. "Man k onnte tatsächlich den Himmel sehen", sagt der Issumer. Dafür hat er zwei Erklärungen. Einerseits konnten die Menschen jüdischen Glaubens sehen, wann es dunkel wurde, wann also der Sabbat, der Ruhetag, beginnt. "Genauso gut kann aber auch Gott auf uns schauen", bringt van Leuck eine andere Überlegung ins Spiel.

Das gut erhaltende Bethaus, das von 1987 bis 1990 restauriert wurde, erzählt eine Reihe weiterer Geschichten rund um den jüdischen Glauben. Einfach mal selber vorbeischauen.

(RP)
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