Geldern Geschichten über den Grenzraum

Geldern · Der Venloer Historiker Ragdy van der Hoek arbeitet an einem zweisprachigen Buch, das die Geschichte von Venlo, Nettetal und Straelen zwischen 1815 und 2015 aufarbeitet. Viel trennt und vieles eint die Menschen der drei Städte.

 Der Venloer Fotograf Jeroen van de Ven hat im Grenzraum von Straelen, Nettetal und Venlo fotografiert. Seine Bilder hat die Euregio Rhein-Maas-Nord in diesem Jahr in der Geschäftsstelle in Mönchengladbach ausgestellt.

Der Venloer Fotograf Jeroen van de Ven hat im Grenzraum von Straelen, Nettetal und Venlo fotografiert. Seine Bilder hat die Euregio Rhein-Maas-Nord in diesem Jahr in der Geschäftsstelle in Mönchengladbach ausgestellt.

Foto: van de ven

"Over de grens" ist der Arbeitstitel eines Buches, an dem der Venloer Ragdy van der Hoek arbeitet. Darüber kann man achselzuckend zur Tagesordnung gehen. Mit der Grenze leben die Menschen in Venlo, Nettetal oder Straelen seit Jahrhunderten. Mal verlief sie so, dann wieder anders. Grenze war in diesem Raum immer. Die Menschen haben sich damit eingerichtet und diese Grenze häufig nicht als Barriere empfunden. Sie war für manchen Wirtschaftszweig und auf jeden Fall für Bürokraten ein besonderer Hort der Wertschöpfung. Mit dem Schengener Abkommen haben sich nur die Möglichkeiten des Geldverdienens verschoben. Aber sonst?

Genau diese Frage stellt sich van der Hoek. Was wissen wir denn wirklich von den jeweiligen Nachbarn. Wie "ticken" sie? Wie sieht ihr Alltag aus? Was prägt die Menschen im anderen Land? Welche Geschichte haben sie? Ragdy van der Hoek arbeitet an einer kulturhistorischen Untersuchung, er spürt auf, was die Menschen trennt und verbindet. Seine Untersuchungen konzentriert er auf die Nachbarstädte Venlo, Nettetal und Straelen. Schreiben will er ein Lesebuch in Niederländisch und in Deutsch, niedrigschwellig, aber umfassend und informativ.

"Ich will Wissen vermitteln und Einblicke vermitteln in die Hintergründe der jeweils anderen. Ich möchte beitragen dazu, dass das gegenseitige Verständnis wächst und es die Zusammenarbeit erleichtert", sagt van der Hoek. Er sucht Quellen in Archiven in beiden Ländern auf, spricht mit Menschen, die ihm weiterhelfen können mit ihrem Wissen und die Hinweise geben, wo er noch suchen sollte.

Auf den Gedanken, "Over de grens / Über die Grenze" zu schreiben, kam van der Hoek mit seinem Buch über das deutsche Unternehmen Nedinsco. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte der Versailler Vertrag Deutschland verboten, Kriegsgerät und verwandte Technik zu bauen oder zu entwickeln. Das Unternehmen Carl Zeiss aus Jena verlagerte einen Teil der Entwicklung in die Niederlande und gründete in Venlo die "Nederlandse Instrumenten Fabriek", kurz Nedinsco. Hier wurden Präzisionsgeräte hergestellt, die unter anderem für die Artillerie eingesetzt werden konnten. Das markante Gebäude im Bauhaus-Stil wurde vor wenigen Jahren renoviert.

"Nedinsco wäre ohne die deutsche Kolonie in Venlo nicht denkbar. Mit wurde dabei plötzlich klar, dass immer schon Deutsche in Venlo lebten und arbeiteten, und ich habe zunächst in Archiven nach Hinweisen und Spuren gesucht", erklärt Ragdy van der Hoek.

"Man muss Geschichten über die Menschen schreiben. Natürlich ist die Grenze ein Trennungsstrich, aber sie ist auch ein verbindendes Element. Venlo ist erst seit dem Wiener Kongress von Straelen und Nettetal getrennt. In so kurzer Zeit haben sich beide Seiten ganz unterschiedlich entwickelt. Sie unterlagen verschiedenen Einflüssen. Aber wenn ich darüber ein Buch schreibe, dann geht es nicht um meine Sicht. Ich beziehe andere Menschen ein, die in den drei Städten leben. Ich frage mich und sie, beispielsweise, ob etwas ganz anders war und ob sich wirklich so viel geändert hat, wie wir meinen. Wir meinen oft nur, viel voneinander zu wissen, und stellen fest, dass wir in Wirklichkeit gar nichts wissen."

Van der Hoek stolperte vor Jahren darüber, dass in den deutschen Orten nahezu jedes Haus mit Kreide beschriftet ist. "Nun ja, denkt man dann, das war die Steuerbehörde oder irgendein anderer Beamter." Der Venloer fragte nach, die Lösung verblüffte ihn. Es ist das schlichte CMB mit der Jahreszahl, das Kinder als "Heilige Drei Könige" aufzeichnen. "Christus, segne dieses Haus" ist der lateinische Text in den drei Buchstaben am Eingang.

Für alle, die es kennen, ist diese Feststellung banal. Van der Hoek interessiert sich dafür. Limburg ist katholisch, kennt den Brauch aber nicht.

Und so arbeitet sich der Autor schrittweise vor. "Es gibt viele Ähnlichkeiten, aber es lassen sich auch ganz gravierende Unterschiede feststellen", hat er erfahren. Van der Hoek hat sich mit der Politik, Kultur und Sprache befasst. In Venlo wird der Dialekt vor allem auch in bürgerlichen Kreisen gepflegt.

"Ich finde das Projekt innovativ, erstmals arbeiten auf beiden Seiten der Grenze Menschen zusammen an einer Geschichte über die Geschichte des Grenzraums und den Einfluss der Staatsgrenze zwischen 1815 und 2015 auf die Bewohner. Auf nationalem Niveau gibt es schon sehr viele Publikationen zu den Beziehungen der deutschen und der Niederländer. Über die unmittelbare Nachbarschaft von drei Städten, eine vergleichsweise fast intime Studie, liegt nach meinem Wissen bisher nichts oder nur wenig vor. Dieser Raum hat immer besonders früh Veränderungen erfahren - ob es Kriege waren oder wirtschaftliche, politische oder kulturelle Anlässe. Das ist spannend."

(RP)
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