Stadtwerke Geldern Präsentieren Verschwundene Orte (5) Die rauchenden Wahrzeichen der Stadt

Geldern · Hubertus Janssen hat sich mit den sichtbaren Zeichen der Industrialisierung beschäftigt. Weber und Wentzel, van der Moolen und das Unternehmen Bergmann sind nur einige Firmen mit hohen Schornsteinen gewesen. Die Attraktion: Seiltänzer.

 Am Ostwall stand früher dieser Schornstein der Firma van der Moolen, die Alkohol produzierte.

Am Ostwall stand früher dieser Schornstein der Firma van der Moolen, die Alkohol produzierte.

Foto: Hubertus Janssen

Spektakulär und alles andere als alltäglich war das, was Hubertus Janssen in seinen Kindertagen zu sehen bekam. "Seilartisten, mitten in Geldern, das fiel natürlich auf", sagt der 77-Jährige. Mitten auf der Straße, auf der Höhe der heutigen Bushaltestelle bis hoch zum Schornstein von Weber und Wentzel zog sich die "Bühne" der Seilartisten. Es muss 1949 gewesen sein, als die berühmte Camilla-Maier-Truppe ihre Kunststücke in luftiger Höhe in Geldern aufführte.

 Auf dem Gelände der Möbelfabrik Bergmann am Güterbahnhof Geldern reckte sich einst dieser Schornstein in die Luft.

Auf dem Gelände der Möbelfabrik Bergmann am Güterbahnhof Geldern reckte sich einst dieser Schornstein in die Luft.

Foto: Ulrich Engelmann

"Da war ich natürlich dabei. Als Kind war das 'ne Sensation", sagt der Gelderner. Höhepunkt der Veranstaltung war die Fahrt mit einem Motorrad auf dem Drahtseil. Als Kontergewicht meldete sich damals Bodo Heckmann, der einen Tabakladen am Gelderner Markt hatte. Das war Nervenkitzel und willkommene Werbung zugleich. Janssen verarbeitet seine Kindheitserinnerungen im Mundart-Gedicht "Vertell öwer dri Fabrikschorssteen in Gelder", das im aktuellen Geldrischen Heimatkalender 2016 nachzulesen ist.

Für Janssen sind neben dem Schornstein von Weber und Wentzel noch der von Bergmann und van der Moolen von Bedeutung. Sie sind ein Stück weit auch Wahrzeichen der Industrialisierung. "Wenn Schornsteine qualmten, hieß es doch auch: Hier ist was los", sagt der Gelderner. Betriebe, die sich ansiedeln wollten, hatten einen Bezugspunkt, sie wussten, dass sie es mit einer florierenden Stadt zu tun hatten.

 Die Fabrik Weber und Wentzel existiert nicht mehr, und damit verschwand auch ihr Schornstein aus dem Gelderner Stadtbild.

Die Fabrik Weber und Wentzel existiert nicht mehr, und damit verschwand auch ihr Schornstein aus dem Gelderner Stadtbild.

Foto: Hubertus Janssen

Die Zeit der rauchenden Schornsteine ist vorbei. Alle drei Schornsteine gibt es nicht mehr, aber dafür schöne Erinnerungen. An das Unternehmen Weber und Wentzel werden sich noch viele Gelderner, auch der jüngeren Generation, erinnern. In den Köpfen steckt noch das Klackern der Förderbänder, wenn die Cola-Flaschen aneinander schlugen und man auf dem Weg zum Bahnhof einen Blick darauf werfen durfte. In der Nase stach der Geruch. "Wenn die Kornbrennerei wor so rechteg an't dämpe, haij ganz Gelder di Nöös voll Schlempe", dichtet Janssen. Denn ursprünglich war die Fabrik an der Ecke Bahnhofstraße/Westwall ein alteingesessenes Familienunternehmen, das als Destillerie begann und später Hochprozentiges brannte, bevor 1951 dort die erste Coca-Cola-Flasche übers Band lief. 2004 erfolgte der Abriss und Kaufland entstand an gleicher Stelle.

Alkohol wurde auch bei der sogenannten Sprit-Fabrik produziert. Den Schornstein der Spritfabrik van der Moolen zwischen Ostwall und Kapuzinerstraße hat Janssen sogar genau untersucht, der kindlichen Neugier und Abenteuerlust sei Dank. "Von innen waren Steigeisen, da konnten wir rauf", erinnert er sich an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Für die Jungs gab es nichts Schöneres, als dort hinaufzuklettern. Der Schornstein wurde schon lange nicht mehr gebraucht. Von da oben konnten er und die anderen Jungs die qualmenden Schornsteine der Nachbarschaft sehen. "Bowen aangekomme, wor wiet dän Blick. Glöcklech klömmde weij rop on t'röck" heißt es in seinem Gedicht. Bereits um 1949/50 fiel der Turm.

Weil die britische Besatzungsmacht eine Sprengung verbot, musste dem massiven Turm anders zu Leibe gerückt werden. Stein für Stein wurde unten herausgenommen und durch Bergbaustempel ersetzt. Die waren aus Holz und konnten angezündet werden. Das Holz brannte, der Turm sackte in sich zusammen. Damit wurde Platz für die Kreisberufsschule geschaffen. Die steht heute noch am Ostwall, zieht aber demnächst um in den Nierspark. Dort musste der dritte Schornstein weichen, der im Gedicht von Janssen auftaucht. Direkt in unmittelbarer Nähe zum Güterbahnhof hatte die Möbelfabrik Bergmann ihren Sitz. 1939 ist sie errichtet worden. "Wenn der kleine Turm qualmte, roch es nach Holz", sagt Janssen. Sieben Jahrzehnte war der Turm im Blick des Betrachters, der Richtung Bahnhof ging. Selbst ein Durchschuss während des Zweiten Weltkrieges brachte den Turm nicht zu Fall. Weg kam er erst, als der Nierspark Formen annahm.

"Kieks du dä Bahnhofstroot ronder, erinnert sich schlicht, dat neue Finanzamt an din Steuerpflicht", fasst Janssen die sichtbare Veränderung dichterisch zusammen. Industriehochburg ist Geldern nicht mehr, aber einige haben diese Zeit noch lebendig vor Augen.

(RP)
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