Straelen Der Traum von Freiheit in der Türkei

Straelen · Regaip Minareci hat als Journalistin in ihrer Heimat am Bosporus gearbeitet. Das Leben hat sich aufgrund der politischen Verhältnisse stark verändert. Die Übersetzerin, die zurzeit in Straelen ist, erzählt davon.

 Regaip Minareci verfolgt von Straelen aus voller Sorge die Entwicklung in ihrer türkischen Heimat.

Regaip Minareci verfolgt von Straelen aus voller Sorge die Entwicklung in ihrer türkischen Heimat.

Foto: gerhard Seybert

Sie hat als Journalistin in der Türkei gearbeitet. Das allein gibt genug Stoff für ein Gespräch. "Man kann aktuell nicht über die Türkei reden, ohne über Politik zu reden", sagt Regaip Minareci. Sie ist zum Übersetzen für drei Monate als "Translator in Residence" im Europäischen Übersetzerkollegium (EÜK) in Straelen zu Besuch.

"Ich darf in Deutschland Sachen lesen, die ich in meinem Land nicht lesen darf", sagt sie und nennt den geplanten Putschversuch als Beispiel. Den Fernseher lässt sie in ihrer Heimat ohnehin lieber aus. "Jedes Mal, wenn ich den einschalte, brüllt er irgendwo", sagt die Übersetzerin. Mit "er" meint sie Erdogan. Außerdem sei die Berichterstattung alles andere als objektiv. Sagt jemand etwas in einer Gesprächsrunde im türkischen Fernsehen, was nicht regierungskonform ist, verschwindet derjenige in einer eingeblendeten Werbepause von der Bildfläche.

So beschreibt die Übersetzerin, wie unliebsame Aussagen umgangen werden. Freie Meinungsäußerung Fehlanzeige. "Man sollte sich möglichst nicht bei Facebook äußern, weil wir wissen und fürchten, wir werden kontrolliert", sagt sie. "Wir sind schon beim ,Like' vorsichtig", sagt Minareci. Seit dem Putsch im vergangenen Sommer sei es noch unruhiger geworden.

Dafür ist es in den Touristenmetropolen der Türkei ruhiger geworden. "Das liegt am Terror", sagt Minareci. Ihre Heimat leide nicht nur am ausländischen Terror durch den IS, sondern auch am inländischen. "Die PKK-Anschläge hören bei uns nicht auf", sagt die Übersetzerin. Das verändert den Alltag. "Es ist nicht einfach, mit der Angst zu leben", sagt die Türkin. "Jeder geht anders damit um." Im Freundeskreis rät man sich: "Fahr' lieber nicht U-Bahn." "Dort, wo viele Menschen zusammen kommen, da ist es gefährlich, und man spürt das auch", beschreibt Minareci das mulmige Gefühl, das auch sie ab und zu beschleicht. "Ich gehe weiter auf Konzerte, aber die Unternehmungen haben sich reduziert", sagt sie.

Dabei ist die Türkin, die als Kind nach Deutschland kam und hier groß geworden ist, bewusst als junge Frau in die Türkei gegangen, der Freiheit wegen. Sie ging nach Istanbul. "Uns ging es damals als Land finanziell schlecht, aber wir waren frei. Wir merken erst jetzt, was wir hatten", sagt die 62-Jährige. Ob die Türkei damals ein freies Land war? "Absolut", sagt sie mit viel Überzeugung in der Stimme. 33 Jahre lang hat sie als Journalistin für die "Hürriyet"-Gruppe gearbeitet, sie war Chefredakteurin und Verlegerin, unter anderem für "Eltern", "Burda" und andere Frauenzeitschriften. Aber der Wunsch, Übersetzerin zu sein, der schlummerte schon lange und tief in ihr. "Mit 15 Jahren habe ich ein japanisches Buch, das schon ins Deutsche übersetzt war, ins Türkische übertragen", sagt Minareci. "Ich wusste damals nicht, dass man den Originaltext übersetzen muss", sagt sie lachend. In dem Fall wäre das der japanische Originaltext gewesen. Ende der 1990er Jahre habe sie sich endlich vorgenommen, neben ihrem hauptberuflichen Dasein als Journalistin zu übersetzen.

Zu den ersten Übersetzungen gehörte Friedrich Nietzsches "Also sprach Zarathustra", später folgte Franz Kafka. Für die Zeit in Straelen hat sie sich unter anderem Kafkas "Briefe an Ottla und die Familie" vorgenommen. "Ich bin auf den Geschmack gekommen", sagt sie. "Seine Offenheit, wie er seine Gefühle eigentlich kompliziert, aber so klar ausdrückt" beschreibt sie, was ihr an ihm so gut gefällt. "Wenn man ihn einmal übersetzt hat, laufen die anderen Übersetzungen", sagt Minareci. Auch Stefan Zweig gehört zu ihren Favoriten. "Das analytische Denken, das ist auch bei Kafka, bei Zweig kommt das Poetische dazu", schwärmt sie.

Mit dem Übersetzer-Sein hat sie sich einen Traum erfüllt. "Doch wenn ich wieder auf die Welt komme, würde ich wieder Journalistin werden", sagt sie. Die Entwicklungen in ihren Land, wo morgen das Referendum für oder gegen Erdogans Machtfülle abgehalten wird, wird sie bei ihren dreimonatigen Aufenthalt in Straelen aufmerksam verfolgen. "Es wird eskalieren, das weiß ich", sagt sie ruhig.

(RP)
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