Stadtwerke Geldern präsentieren verschwundene Orte (3) Das schönste Haus am Platze

Geldern · Christa Leukers erinnert sich an ihren Kindheit im Herzen von Geldern. Das Café-Restaurant van Beusekom war Zuhause und Familienbetrieb. Am 14. Februar 1945 setzten Brandbomben dem imposanten Häuserkomplex ein Ende.

Geldern In der Hand hält Christa Leukers einen Schaumlöffel und eine Suppenkelle aus weißem Emaille. Die beiden Gegenstände hingen noch am Löffelbrett. Ansonsten war von dem Haus, in dem sie aufgewachsen ist, nicht mehr viel übrig. "Heute fahre ich mit dem Fahrrad durch unsere Küche, wenn ich über den Gelderner Markt fahre", sagt Leukers. Ihr Elternhaus stand mitten auf dem großen Markt, bis am 14. Februar 1945 Brandbomben alles zunichte machten. Nur wenige Tage vor Kriegsende verloren Christa Leukers und ihre Familie ihr Zuhause. Einen "markanten Punkt" nennt sie das Haus, an dem jeder vorbeikam, der von Köln nach Kleve wollte.

In den Jahren 1849 und 1856 erwarb ihre Familie die Grundstücke in hervorrangender Lage, mitten auf dem Marktplatz, direkt am Rathaus. Auch das stand damals noch im Herzen von Geldern. Die beiden Kaufverträge in Sütterlinschrift hat Christa Leukers aufgehoben. Mit den Worten "Wir Friedrich Wilhelm IV von Gottes Gnaden König von Preußen thun kund und zu wissen" beginnt das Schriftstück, das den Eigentümerwechsel klar machte. Im Jahr 1831 hatten ihre Vorfahren, die Familie van Beusekom, Rotterdam verlassen und Geldern als neue Heimat gewählt. "Van Beusekom", den Familiennamen, hatten viele Gelderner auch noch im Kopf, als Christa Leukers' Mutter, Maria van Beusekom, Paul Leukers heiratete.

"Das Café-Restaurant van Beusekom war eine Institution", sagt Christa Leukers. Die Crémeschnitten, die dort zubereitet wurden, wurden noch mit Pferd und Wagen zu Schloss Wissen und Schloss Kalbeck transportiert. Mit den Großeltern endete die Konditorentradition. Erhalten blieb der Restaurantbetrieb.

Das große Haus am Gelderner Marktplatz war Wohnhaus und Restaurant in einem. "Meine Eltern hatten aber keine Zeit, um im Wohnzimmer zu sitzen. So eine Gaststätte ist ein Vollzeitjob", erinnert sich die Geldernerin an ihre Kindheit. Mit den Geschwistern und Nachbarskindern konnte sie rund ums Haus spielen. Denn Autos gab es damals so gut wie keine. "Die Nachbarschaft, die Familie waren wichtig, es gab keinen Fernseher", nennt Leukers die Dinge, die das Leben ausmachten.

Dann kam der Zweite Weltkrieg. Aufgrund der Evakuierung musste Christa Leukers mit ihrer Familie zu Verwandten nach Alpen, später ins Sauerland. "Als wir wiederkamen, stand das Haus nicht mehr."

Am schlimmsten sei es für ihre Mutter gewesen. Sechs Wochen dauerte es, bis sie zum Marktplatz ging, sich gewahr wurde, das Haus verloren zu haben, das so lange im Familienbesitz gewesen war.

Für den Übergang bekam die Familie eine Unterkunft an der Stauffenbergstraße zugewiesen. Fensterscheiben gab es nicht mehr, die Küche war schwarz von Ruß. Nach nur zehn Tagen erfolgte der Umzug in eine Wohnung auf dem Westwall, wieder durch Zuweisung. Säcke hingen vor den Fenstern, das Dach war undicht, und die Türen ließen sich nicht schließen. "Aber in der Zeit ging es allen so. Man hat von einem Tag auf den anderen gelebt", erinnert sich Christa Leukers.

Der Schock war groß, als es hieß, sie dürften ihr Haus am Markt nicht wieder aufbauen. Die Familie blieb trotz allem nicht untätig. Von 1947 bis 1955 betrieb sie die Gaststätte Salm an der Ecke Issumer Straße / Hülser-Kloster-Straße. In der gleichen Zeit prozessierte sie gegen die Stadt. Doch ihr Ansinnen wurde negativ beschieden: Die Politik hatte andere Pläne für die nun frei gewordene, riesige Fläche des Marktplatzes.

Die Familie Leukers schuf sich am Südwall ein neues Zuhause. Im Wohnzimmer hängt ein Bild vom Maler Heinrich Brey. Oft werde sie von Besuchern angesprochen, wo dieses Städtchen sei. Christa Leukers lächtelt. "Das ist Geldern", sagt sie. Mittendrin steht ihr Elternhaus mit dem strahlend roten Dach. Alles Erinnerungen. Es gebe nicht mehr viele, die sich erinnern können, deswegen halte sie die Serie "Verschwundene Orte" für wichtig.

"Es geht um die Wurzeln", sagt sie. "Wenn nichts mehr da ist, was man zeigen kann, wie sollen wir den nachfolgenden Generationen denn erklären, wo wir herkommen?", überlegt sie laut.

Deswegen setzt sie sich auch für das Relief ein, für das sich der Verein "Pro Markt" stark macht. Es soll den Markt zeigen, wie er vor der Zerstörung im Februar 1945 aussah. Das Haus der Leukers' wäre auch dabei. Das Relief soll auf alten Fliegerbomben ruhen. Ob das die richtige Botschaft vermittelt oder nicht, darüber wird derzeit noch diskutiert. "Die Bomben waren ja die Ursache für die Zerstörung", meint Leukers. "Bomben sind keine Lösung", sagt sie und schaut nachdenklich auf den Schaum- und den Suppenlöffel, die sie aus dem Schutt gerettet hat.

(RP)
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