Till Reiners Auge in Auge mit der AfD

Geldern · Der Poetry-Slammer ist mitgelaufen bei der Pegida und hingelaufen zu Politikern der AfD. Er wollte mehr wissen über den "besorgten Bürger". Darüber hat der Gelderner jetzt ein Buch geschrieben. Einblicke in die Stimmungslage der Nation.

 Till Reiners ist der Ansicht, dass man den rechten Tendenzen etwas entgegensetzen muss.

Till Reiners ist der Ansicht, dass man den rechten Tendenzen etwas entgegensetzen muss.

Foto: Mathias Becker

Das Buch heißt "Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen". Sie waren bei den Demos der Pegida dabei, haben AfD-Politiker getroffen und mit "besorgten Bürgern" gesprochen. Wie sieht es mit der Furcht nach dem Selbstversuch aus?

Till Reiners Ich kann nicht sagen, dass ich Angst vor den Flüchtlingen bekommen habe. Ich fürchte mich aber auch nicht vor denen, die Hass verbreiten, weil ich deren "Überzeugungskraft" durchschaut habe. Außerdem sind es nicht so viele, wie man immer meint. Die schweigende Mehrheit ist in der Überzahl. Die Reise hat mich in meiner Meinung gefestigt, wie einfach Menschen oft funktionieren.

Das bedeutet?

Reiners Dass vieles, was bei Pegida und der AfD gesagt wird, Quatsch ist und andere Motive dahinterstehen als behauptet. Dass es bei dem Thema Ausländer viel mehr um Gefühle geht und nicht darum, etwas konstruktiv beizutragen. Ich bin auf viele Menschen gestoßen, die hatten ihre Sorgen ganz gerne, und da kann doch dann etwas nicht stimmen.

Der "besorgte Bürger", ist das nicht eine Art Euphemismus?

Reiners Es wird meistens euphemistisch gebraucht. Angst ist etwas, das alles rechtfertigen kann. Angst macht Politik.

Ist das richtig?

Reiners Nein, ich halte das für völligen Blödsinn, die Leute sind nicht mehr fünf Jahre alt. Es ist nicht Aufgabe der Politik, den Menschen alle Ängste zu nehmen. Ich habe aber immer mehr den Eindruck, dass Politik eine Art Gefühlsregulator ist.

Die Menschen, die sie getroffen haben: Hat sie dabei jemand besonders beeindruckt? Positiv oder auch negativ?

Reiners Es ist schon spannend, wenn jemand im Ausland war, in der Schweiz und in Spanien, und zurückkommt, weil die Menschen dort so ausländerfeindlich waren, selber aber Proteste gegen Ausländer anführt und AfD-Politiker ist. Und beim Treffen mit dem in Pforzheim direkt gewählten AfD-Politiker Bernd Grimmer hat es mir direkt die Sprache verschlagen, dass dieser Mann nichts Konstruktives beitragen konnte mit dem, was er sagte.

Und positiv?

Reiners Mich haben die Menschen beeindruckt, die in einem sehr dörflichen Raum gewohnt haben und sich gegen die fremdenfeindliche Mehrheit gestellt haben. In Tröglitz oder Freital sind Menschen, die trotz Anschlägen auf ihr Hab und Gut weitermachen, nach dem Motto: Ich lass' mir meine Heimat nicht wegnehmen.

Sie stammen aus Geldern, waren in Aldekerk, Nieukerk und Winternam zu Hause. Wie sieht es am Niederrhein aus?

Reiners Ich glaube nicht, dass es hier mehr besorgte Bürger gibt als anderswo. Vielleicht liegt das daran, dass in der Region viele katholisch sind und ihre Religion schon gefunden haben. Ansonsten, glaube ich, sieht es hinter der bürgerlichen Fassade genauso schlimm aus wie überall. Es gibt überall Anknüpfungspunkte zum Rassismus.

Neid nennen Sie als einen entscheidenden Faktor für Fremdenfeindlichkeit.

Reiners Ja, das glaube ich. Aber am Niederrhein ist Armut auch nicht so ein großes Thema wie anderswo.

Was ist die Lösung? In ihrem Buch nennen sie Bildung, Begegnung und Mut als Mittel gegen Rechtspopulismus.

Reiners Alles ist gut, was lokale Strukturen zusammenbringt. Ich glaube, Pegida ist letztendlich ein Verein gegen Langeweile. Deswegen ist es wichtig, den ländlichen Raum zu stärken, so unsexy das nun mal klingen mag und was bestimmt kein Wahlkampfschlager wird. Es kommt darauf an, dass es eine Gegenbewegung gibt. Viele lehnen sich aktuell noch zurück und behaupten: Die blöden Ossis, Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit betrifft uns nicht. Aber das ist nicht so weit weg. Es geht nicht nur um die Linken, auch das bürgerliche Lager muss aufstehen und den Pegida-Anhängern sagen: "Was ihr macht, das ist nicht cool. Ihr seid dafür verantwortlich, dass Leute andere Menschen hassen." Ich finde, das ist das Geringste, sonntags mal zwei Stunden auf der Gegenseite mitzulaufen. Es ist zwar nur etwas Symbolisches, aber man setzt was dagegen.

DIE FRAGEN STELLTE BIANCA MOKWA.

(RP)
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