Erkrath Und plötzlich ist man ein Fußballgott

Erkrath · Am 9. Juli 1954 wurde Toni Turek in seiner Heimatstadt Erkrath als Fußball-Weltmeister empfangen.

 Bei der Eröffnung der Reinhard-von Hymmen-Kampfbahn spielte Toni Turek (2.v.r) in Erkrath gegen eine Prominenten-Mannschaft.

Bei der Eröffnung der Reinhard-von Hymmen-Kampfbahn spielte Toni Turek (2.v.r) in Erkrath gegen eine Prominenten-Mannschaft.

Foto: Foto/Stadtarchiv Erkrath

Und plötzlich ist man Fußballgott! Wie es sich damals angefühlt hat, als Toni Turek die höchsten Weihen des deutschen Fußballs zuteil wurden, mag man nur erahnen. Teufelskerl, Fußballgott: Radioreporter Herbert Zimmermann überschlug sich jedenfalls beinahe mit Lobpreisungen.

Zuvor hatte Toni Turek in der zweiten Halbzeit des Finalspiels gegen die Ungarn so manche Glanzparade hingelegt und mit Händen und Füßen beinahe alles abgewehrt, was seinem Kasten gefährlich werden konnte. "Wie ich an den Schuss von Czibor in der Ecke gekommen bin, weiß ich selbst nicht", wird sich der Torwart später erinnern.

Das er nach dem gewonnenen Finale am 9. Juli als Weltmeister in seine Heimatstadt Erkrath zurückgekehrt ist, dürfte ihm allerdings in bester Erinnerung geblieben sein. Denn dort wartete nicht nur seine vollkommen aufgelöste Mutter, die derweilen die beiden Turek-Kinder gehütet hatte. Sondern auch noch Tausende Erkrather, die es sich nicht nehmen lassen wollten, ihren Weltmeister in Empfang zu nehmen. Am Morgen hatte ein mit Rosen geschmückter Volkswagen vor Tureks Wohnung in der Parkstraße gehalten. Vor dem Wagen ritt das Reitercorps, dahinter marschierte die Jugendmannschaft des SSV Erkrath. Am Rathaus hatte sich der MGV Sängerbund aufgestellt, derweilen warteten drinnen die Honoratioren der Gemeinde, um ihren "Fußballgott" zu ehren. Es gab Geschenke für die Ehefrau: Eine Kaffeemaschine und ein Mokkaservice. Derweilen schaute man in Düsseldorf, wo Turek damals im Tor der Fortuna stand, neidisch auf die Nachbargemeinde. "Die Welt mag sich um ihn reißen, heute aber will er unter seinen Mitbürgern sein, als einer der ihren, in ihrem Kreise gute Erkrather Luft atmen", entschuldigte Fortuna-Vorsitzender Ponzen damals die Abwesenheit seines Torwarts.

Den "Fußballgott" musste Radioreporter Zimmermann übrigens später wieder zurücknehmen und sich öffentlich dafür entschuldigen. Das im ARD-Archiv befindliche Band der Reportage wurde neu geschnitten und besagte Stelle durch "Toni, du bist Gold wert" ersetzt. Fußballgötter durfte es offenbar nicht geben - auch nicht inmitten eines überschwänglichen Freudentaumels.

Übrigens: Mit seiner aufreizend lässigen Spielweise hatte Toni Turek gelegentlich den Zorn des Bundestrainers auf sich gezogen. Herbergers Favorit für die Torwartposition soll Fritz Herkenrath gewesen sein. Der jedoch weilte mit seinem Verein Rot-Weiß Essen während der Weltmeisterschaft auf Reisen durch Südamerika. Und der vermeintlich beste deutsche Torwart Bert Trautmann kam als Profi-Fußballer in Manchester prinzipiell bei Herberger nicht zum Zuge.

Daher war es nun Toni Turek, der sich über eine Weltmeister-Prämie von 2000 Mark, eine goldene Armbanduhr und einen Mittelklassewagen von DKW-Autounion freuen durfte. Hinzu kam eine kuriose Zuwendung, die sogar notariell beglaubigt wurde: Der Eigentümer von Tureks Garage in Erkrath ermäßigte die Monatsmiete von 20 auf 15 Mark. Nach seiner Rückkehr aus Bern kehrte Toni Turek an seinen Schreibtisch bei der Rheinbahn zurück. Dort hatte man ihm nur Weltmeisterschaft in Ungarn nur Urlaub gewährt, weil der DFB bereit gewesen war, die 537,79 für seine vierwöchige Abwesenheit zu übernehmen. Im Klartext heißt das: Für knappe 19 Euro am Tag stand der Keeper im Tor der deutschen Nationalmannschaft. Einen Mentaltrainer gab es damals ebenso wenig wie einen Ernährungsberater. Beim DFB-Kurzlehrgang hatte es zuvor klare Anweisungen gegeben: "Die Spieler haben mitzubringen: Drei Paar im guten Zustand befindliche Fußballschuhe, davon ein Paar mit Gumminocken und zwei Paar mit Schraubstollen, sowie die Laufschuhe. Und, soweit vorhanden, den blauen Trainingsanzug."

Etliche Jahre nach der Rückkehr aus Bern ereilten Toni Turek schwere Schicksalsschläge. Nachdem er - mit einem Granatsplitter im Kopf - die Kriegswirren hinter sich gelassen hatte, war er schon während der WM im Tor plötzlich umgekippt. Beinahe 20 Jahre später wurde er an einem Septembermorgen wach, um festzustellen, dass er nicht mehr aufstehen konnte. Über Nacht war der begnadete Fußballer von der Körpermitte bis in die Zehenspitzen gelähmt. Es sollte lange dauern, bis Toni Turek wieder kurze Strecken am Stock gehen konnte. Komplikationen waren hinzugekommen: Vier Lungenembolien, die Entfernung der Milz und eine schwere Magenoperation hatten ihn zwischenzeitlich sogar in Lebensgefahr gebracht. Seine letzte Ruhe fand Toni Turek übrigens auf dem Friedhof Lindenheide in Mettmann.

(magu)
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