Erkrath/Gerresheim Als die Nachbarn noch in Glas machten

Erkrath/Gerresheim · Die Erkrather Heimatforscherin Hanna Eggerath hat die Historie der Glashütte erforscht. Glasmacher Robert Ziegler war ihr Großvater.

 Über 100 Jahre her: Die Familie Ziegler vor dem Haus Portastraße 15 in Gerresheim im Jahr 1910.

Über 100 Jahre her: Die Familie Ziegler vor dem Haus Portastraße 15 in Gerresheim im Jahr 1910.

Foto: Archiv Hanna Eggerath

Zur Toilette mussten sie "nach Erkrath" gehen. Hin und wieder kam jemand vorbei, um das Hausschwein zu schlachten. Und zu Hause gab es ein "dunkles Zimmer", damit die Männer ihre Ruhe hatten.

Lauscht man den Glashütten-Geschichten der Heimatforscherin Hanna Eggerath, so kommt einem vor allem eines in den Sinn: Heimatgeschichte ist keineswegs langweilig. Im Gegenteil: Wie so oft, fesselt sie auch diesmal wieder. Zumindest dann, wenn man das harte Leben rings um die Gerresheimer Glashütte aus der Ferne wahrnehmen kann. Denn längst haben Jahrzehnte genug Raum geschaffen zwischen dem, was Hanna Eggerath aus der eigenen Familiengeschichte berichtet, und der Entwicklung eines Unternehmens, das vor mittlerweile zehn Jahren seine Tore für immer geschlossen hat.

 Ferdinand Heye begann vor 150 Jahren mit der Produktion von Glasflaschen.

Ferdinand Heye begann vor 150 Jahren mit der Produktion von Glasflaschen.

Foto: Stadtarchiv Düsseldorf

Dazwischen liegt eine 150 Jahre währende Geschichte, von der wir hier erzählen wollen. Sie beginnt mit der Geburt eines Visionärs im Jahre 1838 in Bremen. Ein Vierteljahrhundert später hatte Ferdinand Heye genug von den Streitereien seiner Geschwister um das Familienerbe. Der Vater gestorben, die Mutter gequält vom Streit ihrer Kinder um den elterlichen Glashandel - der Sohn wollte sein Glück anderswo versuchen.

Warum das Schicksal ihn ausgerechnet nach Gerresheim verschlug? So genau weiß das heute niemand mehr. Es gibt die Vermutung, dass es die Nähe zur Eisenbahn gewesen sein könnte. Zudem gab es ringsum kaum Konkurrenz und genug Platz für einen jungen Mann mit Visionen und Tatkraft. Elegant gekleidet, durchstreifte Heye im Frühjahr 1863 die Düsselauen, um kurz darauf beim Bürgermeister vorzusprechen. Bahnanschluss, billiges Land und brauchbarer Sand: Der angehende Jungunternehmer hatte klare Vorstellungen, als er am 1. März 1864 offiziell Gerresheimer Bürger wurde und damit begann, seine Glashütte zum größten Flaschenproduzenten in Europa auszubauen. "Da ich hauptsächlich Flaschen produzieren will, ist das Rheinland mit seinem großen Bedarf an Weinflaschen der richtige Platz", ließ er seine Kritiker wissen.

Im fernen Ostpreußen hatte Robert Ziegler gerade seinen sechsten Geburtstag gefeiert. Weitere sechs Jahre später ließ sich der damals zwölfjährige Robert zum Glasmacher ausbilden. In der Königlichen Glashütte "Adamsverdruß" im ostpreußischen Ortelsburg - dort, wo auch schon der Vater für den Familienunterhalt sorgte.

Nahezu drei Jahrzehnte sollten noch vergehen, bis sich die Lebenswege von Robert Ziegler und Ferdinand Heye in Gerresheim kreuzten. Der eine - inzwischen verheiratet mit Emma und Vater von fünf Kindern - war auf der Suche nach einem Job durch die Lande gezogen und schließlich in Nienburg fündig geworden. Der andere hatte seinem Unternehmen zu Weltruhm verholfen und seine Werber losgeschickt, um Arbeitskräfte wie Robert Ziegler zur Glashütte zu locken. Da gab es dort schon kostenlose Werkswohnungen und ein florierendes Vereinsleben. In den Gärten wurde gesät und geerntet. Das obligatorische Hausschwein wurde eigens von einem bei der Glashütte angestellten Schlachter ins Jenseits befördert.

Und wie war das noch mal mit dem eingangs erwähnten Toilettengang nach Erkrath? Hanna Eggerath muss für eine Antwort nicht lange überlegen. Robert Ziegler war ihr Großvater und daher weiß sie: "Die Toiletten waren draußen im Garten und der Weg dorthin kam uns so weit vor, als würde man nach Erkrath laufen."

Auch Familie Ziegler wohnte nach dem Umzug nach Gerresheim in einer der Werkswohnungen, in der es ein dunkles Zimmer gab. "Der Glasfluss ließ sich damals noch nicht steuern und die Arbeits- und Schlafenszeiten waren sehr unregelmäßig. In dem Zimmer sollten die Männer zu jeder Tageszeit ruhig schlafen können", sorgt die Heimatforscherin auch hier für Aufklärung. Viele Glasbläser lebten damals jenseits des Werks in Erkrath und Unterbach - aber auch dort verstand man das Hötter Platt. Ein Dialekt, den mittlerweile kaum noch jemand kennt.

(magu)
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