Erkelenz Ringen um den Erhalt der Mundart

Erkelenz · Sein Leben lang hat sich Theo Schläger mit Sprache beschäftigt - vor allem mit der heimischen Mundart. Deutsch, so sagt er deshalb, sei seine erste Fremdsprache gewesen. Er blickt in die Zukunft und sagt, was aus der Mundart werden wird.

Erkelenz: Ringen um den Erhalt der Mundart
Foto: Grafik RP

"Verr hänt os doch noch!" Diese Worte haben sich in das Gedächtnis von Theo Schläger eingebrannt. "Wir haben uns doch noch - mein Vater hat diesen Satz gesagt, als wir nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges aus der Evakuierung nach Hause kamen. Unser Haus gab es aber nur noch halb. Die restliche Hälfte war unbewohnbar. Meine Mutter konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Ich weinte - glaube ich - mit. Und dann sagte mein Vater, schwer kriegsbeschädigt und auf zwei Krücken gestützt: ,Verr hänt os doch noch'." Dieser Satz jagt Theo Schläger, der damals ein kleiner Junge war, noch immer kalte Schauer über den Rücken. Wie sein Vater ihn gesprochen hat, ist Schläger dabei besonders wichtig: "In Platt wirkte und wirkt er für mich viel intensiver als in Hochdeutsch."

Theo Schläger ist der Experte der heimischen Mundart. Sein Leben lang hat er sich mit Sprache beschäftigt, sagt überzeugt: "Deutsch war meine erste Fremdsprache." Damit kam er in Berührung, als er in die Schule kam. Bis dahin war ihm als Muttersprache eben Platt vertraut. Theo Schläger, Jahrgang 1940, aus dem später ein Lehrer und Schulleiter der Lövenicher Nysterbachschule wurde, sieht in seiner Muttersprache den Begriff "Heimat" fest verankert. Besonders in der Zeit der Evakuierung bedeutete die Muttersprache, also Platt, so viel wie Heimatklänge.

"Als Kinder sprachen wir alle Platt. In unseren Familien, in unserer Straße, im Dorf. Die ersten Wörter, die ich sprach, die ersten Begriffe, die ich gebrauchte, die Dinge, die Welt, die Menschen um mich herum - das alles erfasste ich mit und in meiner Muttersprache, dem Platt. Alle Gedanken dachte ich in Platt. Meine Heimat und meine ganze Vorstellungs- und Gefühlswelt entstanden mit meiner Muttersprache. So habe ich in den ersten Jahren kein Wort Deutsch gesprochen. Wenn alles Erste im Menschen ewig ist, dann ist es also auch meine Muttersprache. Beweis: Ich träume oft in Platt."

Theo Schläger spricht in diesem Zusammenhang bewusst von einer "inneren Beziehung" zu seiner Muttersprache. Heimat und Mundart sind für ihn Emotion. "Heimat ist aber mehr, ist er-leben, mit dem Herzen sehen und fühlen, was mich umgibt. Menschen, die ich mag, die mich mögen, Orte, die ich liebe, Aktivitäten, die ich gemeinsam mit anderen ausübe, zusammen leben, mit ganzem Herzen da beisein. Das ist für mich Heimat, die für mich untrennbar mit meiner Muttersprache verbunden ist. Wenn ich das alles bedenke, ist Heimat nicht ein ganz konkreter Ort, sondern ein Gefühl, das wohl jeder auf seine Art erlebt, überall da, wo man sich wohlfühlt."

Als Theo Schläger noch ein Schulkind war, war Platt zumindest außerhalb des Klassenraumes in Ordnung. "Doch das änderte sich, als ich ins Gymnasium kam", sagt er, der schon in jungen Jahren anfing, Mundart-Lieder zu schreiben. Seiner Linie ist Schläger bis heute treugeblieben.

Aber: Der Experte der heimischen Mundart erkennt, dass es ums Platt nicht gut bestellt ist. "Ich wage da auch keine Prognose, sondern sage: Die alte Generation, die mit Platt aufgewachsen ist, wird immer kleiner." Für Kinder sei es längst nicht mehr selbstverständlich, mit der heimischen Mundart aufzuwachsen. "Jedoch beobachte ich, dass zwar die Zahl derer, die beispielsweise die Mundartabende des Heimatvereins der Erkelenzer Lande besuchen, stetig steigt - es bleibt aber die Gegenbewegung aus, dass die Leute anfangen, wieder aktiv Platt zu sprechen."

Theo Schläger denkt an Zeiten zurück, in denen er als junger Lehrer beim Elternsprechtag in der Schule Platt mit den Eltern sprechen konnte - heute sei das undenkbar. "Dabei lernen die Kinder schnell. Das habe ich immer wieder festgestellt. Nicht nur während meiner Zeit als Lehrer, sondern auch als Chorleiter. In meinen Chören werden mundartliche Lieder ja immer gesungen." Schläger fragt sich oft, ob er nicht einen aussichtslosen Kampf beim Ringen um den Erhalt der Mundart kämpft. "Wenn selbst die Fachleute für rheinische Landeskunde Zweifel am Erhalt hegen - macht unsere Arbeit dann noch Sinn? Ja - denn ich möchte kritisch anmerken, dass sich auch Fachleute schon oft geirrt haben. Dass der Gebrauch der Mundart merklich nachlässt, darüber besteht natürlich schon lange kein Zweifel. Aber es gilt auch, dass es in jedem kleinen Bereich bewiesenermaßen Möglichkeiten gibt, das noch Vorhandene nicht nur zu konservieren, sondern auch zu beleben, jedenfalls für einen überschaubaren Zeitraum in einer überschaubaren Gruppe mit überschaubarem Erfolg." Ob dies auch eine nachhaltige Wirkung entfalte, könne nur die Zukunft beantworten, ist sich Schläger sicher.

Zu Schlägers Bemühungen, Kindern die Mundart nahe zu bringen, zählt, für die Grundschulen im Kreis Heinsberg ein Konzept erarbeitet zu haben: "Doch wenn Lehrer die heimische Sprache nicht mehr können, kann man eigentlich nicht erwarten, dass sie sich wirkungsvoll dafür einsetzen, macht es kaum Sinn, obwohl sicher überall die Möglichkeit bestünde, Mundartexperten für diese Aufgabe zu gewinnen." Theo Schläger erinnert dabei daran, dass die Pflege regionaler Dialekte in der Europäischen Charta, die die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet hat, satzungsgemäß verbrieft ist.

Einen guten Beitrag sieht Schläger auch in seinen Kolumnen "Op Platt", die in der RP erscheinen - darauf gebe es immer eine gute Resonanz, sagt er. Unterm Strich steht für Theo Schläger: "Wenn das Sprichwort ,Totgesagte leben länger' gilt, warum nicht auch für unsere Mundart?"

(RP)
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