Erkelenz "Rheinisches Recht" wirkt bis heute nach

Erkelenz · Erkelenz vor und nach dem Wiener Kongress war Thema eines Vortrags der Wissenschaftlerin Prof. Dr. Irmgard Hantsche auf Einladung des Heimatvereins. Vor 200 Jahren wurden Strukturen geschaffen, die bis jetzt nachwirken.

 "Sitzung der Bevollmächtigten der acht an dem Pariser Frieden beteiligten Mächte" - Holzstich nach einer Kreidezeichnung von 1814/15 von Jean-Baptiste Isabey.

"Sitzung der Bevollmächtigten der acht an dem Pariser Frieden beteiligten Mächte" - Holzstich nach einer Kreidezeichnung von 1814/15 von Jean-Baptiste Isabey.

Foto: akg-images (Archiv)

Für Erkelenz stehen wie für ganz Europa 2015 zwei Kriegsende-Daten im Fokus - 1945 für das Ende des Zweiten Weltkriegs, 1815 für den Wiener Kongress als Ende der "Befreiungskriege" gegen das napoleonische Imperium. Letzteres stand im Mittelpunkt eines intensiven Vortrags von Professor Dr. Irmgard Hantsche im Alten Rathaus auf Einladung des Heimatvereins der Erkelenzer Lande.

Vorsitzender Günther Merkens erläuterte, dass der Verein das Jahr 2015 unter den Leitgedanken "Jahrestage" gestellt habe, nach der Gedenkveranstaltung zum Weltkriegsende gehe es nun um die Auswirkungen, die die "Schlussakte" des Wiener Kongresses auf das Erkelenzer Land gehabt habe.

Die frühere Professorin für Landesgeschichte mit Spezialgebiet Niederrhein und Kartographie an der Universität Duisburg-Essen stellte in gut 70 Minuten mit zahlreichen Bildern und selbst entwickelten Karten die Position Erkelenz' in den Auseinandersetzungen der Landesherren um die Region heraus.

Der Niederrhein sei ein über viele Jahrhunderte zersplittertes Gebiet gewesen, in dem Erkelenz eine exponierte Position bis 1713 als geldrische Enklave im Herzogtum Jülich gehabt habe, dem es dann im Frieden von Utrecht zugeordnet wurde.

Die "Jülicher" Episode endete allerdings bereits nach 70 Jahren durch die Eroberung des linksrheinischen Gebiets durch französische Revolutionstruppen 1794. Und damit begann, so die Professorin, erstmals eine (20-jährige) Epoche, in der der Niederrhein eine territoriale Einheit bildete. Die vor allem aber gewaltige Umwälzungen im Staatswesen mit sich brachte. Das Feudal-Herrschaftssystem des Erbadels aller Ebenen wurde zugunsten der Republik abgeschafft. Erkelenz wurde "Hauptstadt" eines Kantons mit 48 Gemeinden und 17 000 Einwohnern, über dem das Arrondissement Krefeld und darüber das Departement Roer mit Sitz in Aachen stand. Den Städten und Gemeinden stand ein Bürgermeister (Maire) vor, in Erkelenz war das ab 1808 der Notar Gormanns, der gleichzeitig Chef des Kantons war. 1814 von den Preußen (nur) als Bürgermeister abgelöst wurde.

Eine rechtsstaatliche Gerichtsbarkeit mit mündlicher Verhandlung in öffentlicher Sitzung wurde ebenso eingeführt wie ein Wirtschaftsrecht, das unter anderem enge Zunftordnungen abschaffte und damit einen erheblichen Wirtschaftsaufschwung einleitete.

Die Preußen waren klug genug, so Professor Hantsche, nach Antritt ihrer Herrschaft das alte Feudalsystem nicht wieder voll einzuführen, wenn es auch die territoriale Einheit des Raums um Erkelenz wieder aufgab, die Provinz- und Regierungsbezirksgrenze wurde knapp östlich hinter die Erkastadt gelegt. Die Wirtschaftsverfassung blieb ebenfalls. Die protestantischen Preußen behielten die Religionsfreiheit für das katholische Rheinland bei, brachten aber protestantische Beamte dorthin. Von den 3370 Einwohnern Erkelenz' im Jahr 1812 war kein einziger protestantisch.

Die Sonderregelungen gingen als "Rheinisches Recht" in die Geschichte ein, vieles wurde 1900 in das Bürgerliche Gesetzbuch für das Deutsche Reich übernommen, einige sind noch heute gültig wie die Regelung, dass die Ämter von Notaren und Anwälten nicht in einer Hand liegen dürfen.

Professor Hantsche abschließend: "Die Zugehörigkeit zur Republik Frankreich vor 200 Jahren hat moderne Strukturen geschaffen, die bis heute wirken." Anhaltender Beifall der mehr als 50 Besucher dankte der Referentin.

(isp)
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