Erinnerungen Von Theo Schläger Heiligabend im Trümmerhaus mit Kraggelekröttches

Erkelenz · Erkelenz 70 Jahre nach Kriegsende und vor dem Weihnachtsfest erinnere ich mich an unser erstes Weihnachtsfest nach dem Krieg. Manchmal ist es gut, sich an diese Zeit zu erinnern, weil sie sonst unter dem Wust von Neuem und allem Glitzer zu verblassen droht.

Erkelenz 70 Jahre nach Kriegsende und vor dem Weihnachtsfest erinnere ich mich an unser erstes Weihnachtsfest nach dem Krieg. Manchmal ist es gut, sich an diese Zeit zu erinnern, weil sie sonst unter dem Wust von Neuem und allem Glitzer zu verblassen droht.

Als wir aus der Evakuierung zurückkamen und vor unserem Haus standen, blieb uns fast das Herz stehen. Wir konnten von der Straße schnurstracks in unser Haus hineingehen, weil die Vorderseite einen Volltreffer bekommen hatte. Die Hälfte des Hauses war ein Trümmerhaufen.

Mein Vater stand da, auf seine Krücken gestützt. Er war "kriegsbeschädigt". Als Maurermeister war er eigentlich prädestiniert, das Haus wieder aufzubauen, doch das ging jetzt nicht mehr.

Meine Mutter weinte erst einmal sehr. Aber mein Vater zog uns an sich und sagte: "Wir haben uns doch noch!" Diesen Satz in dieser Situation werde ich nie vergessen.

Wir gingen dann über die Trümmer ins Innere. Wohnen konnten wir da nicht. Doch der Keller war unbeschädigt und vor dem Krieg als Luftschutzkeller ausgebaut worden. Der hatte sogar einen gemauerten Herd, auf dem die Frauen bei Luftangriffen für die kleinen Kinder die Flaschen gewärmt und auch mal Suppe oder Bratkartoffeln bereitet hatten.

Dort sollten wir längere Zeit leben können. Aber wie und womit? Kein Tisch, kein Schrank, kein Bett. Aber in kürzester Zeit kam von Nachbarn und Verwandten wie von Zauberhand alles Notwendige zusammen: Betten, Tisch, vier verschiedene Stühle und ein großes Regal. Den Hausrat hatte meine Mutter mit Hilfe von Nachbarn vor der Evakuierung im Garten vergraben. Der war fast vollständig erhalten und brauchbar. Wir konnten also wohnen, wenn auch recht primitiv.

Aber dann kam Weihnachten, der Heilige Abend. "Wie sollen wir Weihnachten feiern?", fragte meine Mutter. Im engen Keller? Wohl kaum. Ein Zimmer im Haus war schon wieder ganz in Ordnung, hatte schon Tür und Fenster. Das wurde weihnachtlich hergerichtet. Jemand brachte einen Weihnachtsbaum. Auch Kerzen und Kugeln waren sogar vorhanden.

Groß und geschmückt stand der Baum in der Zimmerecke. Als es Abend wurde, kamen mein Opa, meine Tante, mein Onkel, meine Cousine zu uns ins "Weihnachtszimmer", alle in dicke Mäntel gehüllt, denn wir hatten ja keinen Ofen darin. Als die Kerzen angezündet wurden, stimmte mein Vater "Stille Nacht" an.

Aber weit kamen wir nicht. Auf einmal wurde aus dem Singen mehr und mehr Schluchzen. Alle nahmen sich dann still in den Arm. Wir Kinder haben mit geweint, wussten aber nicht genau warum. Später haben wir Kinder einen Teller mit Lecker bekommen - mit Äpfeln, Nüssen und selbstgebackenen kleinen "Kraggelekröttches", kleinen gebackenen Kringeln. Das weiß ich noch ganz genau.

Unser Opa meinte: "Dass wir noch einmal Weihnachten zusammen feiern würden, daran habe ich nicht mehr geglaubt." Und irgendwie waren alle wieder glücklich. Im engen Keller unten mit der niedrigen Decke gab es danach noch einen großen Topf Suppe. Welche das war, weiß ich nicht mehr. Dabei haben wir die "Kraggelekröttches" gegessen, mit richtiger Butter drauf. Ich weiß noch, wie gut das geschmeckt hat. Was für ein Weihnachtsessen! Und wenn ich mich richtig erinnere, waren wir, glaube ich, für einen Augenblick alle wirklich glücklich, vielleicht sogar ein bisschen glücklicher als heute.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort