Redaktionsgespräch Mit Michael Marx, Friederike Lambrich Und Michael Kock Glaube koppelt sich zunehmend von Kirche ab

Erkelenz · Drei Seelsorger, zu deren Aufgaben auch die Arbeit mit Jugendlichen gehört, erzählen von ihren Erfahrungen. Sie plädieren für neue Wege.

 Kaplan Michael Marx (v.l.), Pfarrerin Friederike Lambrich und Gemeindereferent Michael Kock diskutierten auf Einladung der Rheinischen Post Erkelenz über Jugend und ihre Religiosität. "Das Bedürfnis, an etwas zu glauben, haben Jugendliche definitiv", erklärten sie unisono.

Kaplan Michael Marx (v.l.), Pfarrerin Friederike Lambrich und Gemeindereferent Michael Kock diskutierten auf Einladung der Rheinischen Post Erkelenz über Jugend und ihre Religiosität. "Das Bedürfnis, an etwas zu glauben, haben Jugendliche definitiv", erklärten sie unisono.

Foto: Jürgen Laaser (oben)/Andreas Speen (unten)

ERKELENZER LAND Heutige Jugendliche interessieren sich nicht für Glauben und Kirche, sind stattdessen genuss-, medien- und freizeitorientiert - so lautet ein gängiges Vorurteil. "Das ist so nicht richtig", sagen die Seelsorger Friederike Lambrich, Michael Marx und Michael Kock. Jugendliche seien sehr wohl spirituell, ihr Glaube sei heute aber weit weniger kirchlich gebunden - die Institution Kirche verliere an Bedeutung.

Oft wird in den Elternhäusern und auch im Religionsunterricht in der Schule der Glaube und elementares Wissen davon nicht mehr vermittelt. Wie schaffen Sie es, heute Jugendliche für den Glauben zu begeistern?

Lambrich Das stimmt! Religionsunterricht ist oft langweilig. Ich habe den selbst, sobald es ging, abgewählt! (lacht) Erst später habe ich gemerkt, dass Kirche und Glaube nicht so wie im Unterricht sein müssen. Das versuche ich auch, meinen Konfirmanden zu vermitteln. Ich interessiere mich für die Jugendlichen. Vor allem achte ich auch darauf, wie ich mich ausdrücke.

Kock Für mich waren die Anbindung und das Angebot von Heimatpfarre und Verbänden viel entscheidender als zum Beispiel der schulische Religionsunterricht. Um Jugendliche für den Glauben zu begeistern, überlege ich, was relevant ist. Manche Frömmigkeitsformen sind insbesondere aus der Perspektive der Jugendlichen von vorgestern. Das könnte man bei uns in der katholischen Kirche besonders gut am Beispiel des traditionellen Fronleichnamsfestes diskutieren. Wir sollten Jugendliche in erster Linie für den Glauben begeistern - danach gerne für die Kirche. Natürlich sollte beides bestenfalls zusammengehören. Doch die Schnittmenge wird immer geringer.

Marx Ich habe den Religionsunterricht damals nicht abgewählt, aber es stimmt schon: Der ist eine enorme Chance, den Glauben zu vermitteln, die total vertan wird. Ich versuche, den Jugendlichen zu zeigen, dass Glaube aktuell ist, stelle von der Bibel ausgehend Bezüge zu ihrem konkreten Leben her. Ein Beispiel: Ich bezeichne Heilige auch schon mal als "Influencer". Sie agieren ähnlich wie die Youtube-Stars von heute, nur ohne Social-Media-Kanäle. Mit einem Sitzungskatholizismus erreichen wir die Jugendlichen jedenfalls nicht mehr. Ich spreche gerne von einer Kirche in Bewegung - und dazu gehören dann auch Wallfahrten.

Es ist wahrscheinlich nur ein schmaler Grat zwischen Verständnis für Jugendliche und dem, was man einen "Berufsjugendlichen"nennt. Wie findet man da die richtige Balance?

Kock Ganz wichtig ist es, authentisch zu sein und zu bleiben. Ich trage mein Jackett auch im Beruf und bin auch ansonsten als Erwachsener eindeutig zu erkennen. So zu tun, als wäre man selbst noch jugendlich, ist peinlich.

Lambrich Absolut richtig: Authentizität ist das A & O. Sich krampfhaft wie ein Jugendlicher geben zu wollen, kommt bei den Jugendlichen gar nicht gut an.

Marx Man muss in der Tat ein klares Profil zeigen. Alles andere hilft nicht weiter.

Wie stark sind Sie in den Schulen präsent?

Lambrich Mein Kontakt beschränkt sich im Moment auf Schulgottesdienste mit Grundschulen. Ich selbst kann es gar nicht leisten, regelmäßig in Schulen zu gehen - ab und an mal an einem Projekttag teilnehmen, das mache ich aber schon.

Marx Ich bin viel mit Grundschulen und Kindergärten in Kontakt. Da gibt's eine wirklich gute Zusammenarbeit, und wir laufen vor allem bei den Grundschulen mit unseren Angeboten offene Türen ein.

Kock Ich als Jugendseelsorger habe da eine andere Position: Ich brauche die Schulen. In unserer Pfarrei gibt es mit Joachim Ritzka ja auch einen dezidierten Schulseelsorger. Er kümmert sich um die Realschule und das Cornelius-Burgh-Gymnasium, ich halte Kontakt zum Cusanus-Gymnasium und zur Hauptschule. Was mir zu dem Thema auch auffällt: Schule steht für die Kinder und Jugendlichen viel mehr im Fokus als noch vor 20 Jahren. Heute sind die Freundeskreise vor allem schulisch und nicht mehr auf die Gemeinde bezogen.

Wie läuft die Kommunion-, Konfirmation- und Firmvorbereitung ab?

Lambrich Ich mache den Unterricht gerne und bin sehr interessiert am Leben der Konfirmanden. Die haben alle meine dienstliche Handynummer und schreiben mir via WhatsApp. Ich habe ihnen auch das "Du" angeboten. Davon hat aber kaum einer Gebrauch gemacht.

Marx Wir haben dieses Jahr 120 Kommunionkinder und 100 Firmlinge in der Gemeinde. Da fällt es schon schwer, sich alle Namen zu den Gesichtern zu merken, aber der Kontakt ist auf jeden Fall da. Vor allem anders herum funktioniert's. Da werde ich von den Kindern auf der Straße erkannt und angesprochen. Für die ehrenamtlichen Helfer bin ich sehr dankbar. Die halten einem häufig den Rücken frei.

Kock Die halten einem nicht nur den Rücken frei, sondern übernehmen eigene Verantwortung. Ich bin auch sehr dankbar für die Ehrenamtler. Oft wird ja wirklich auf Augenhöhe gearbeitet.

In der Regel leiten Mütter oder auch mal ein Vater den Kommunionunterricht. Gibt es denn auch Katecheten, die das mehrere Jahre in Folge tun - unabhängig davon, ob ein eigenes Kind dabei ist?

Marx Ja, das ist ganz verschieden. In der Vorbereitung zur Erstkommunion helfen tatsächlich meist die Mütter mit. Wir sind vom Engagement wirklich begeistert. Da merkt man auch noch die dörflichen Strukturen - die eine Mutter zieht dann die andere mit. Oft helfen aber auch Ehrenamtler, die tatsächlich über Jahre dabei sind. Das sind dann auch ausgebildete Katecheten.

Was wird gewünscht vom Konfirmation-, Kommunion- und Firmunterricht?

Lambrich Das ist ganz verschieden. Manche Eltern wünschen sich eine gute Zeit für die Kinder, während andere möchten, dass den Kindern christliche Werte vermittelt werden. Die sollten aber eigentlich schon vorhanden sein.

Marx Man kann jedoch im Kommunion-, Konfirmation- oder Firmunterricht nicht plötzlich vermitteln, was Eltern jahrelang versäumt haben.

Lambrich Manche Eltern wünschen sich auch, dass ihre Kinder etwas über die Weltreligionen lernen. Dafür ist die Konfirmationsvorbereitung aber die falsche Adresse, das gehört in den Religionsunterricht in der Schule. Wir sind eine christliche Kirche, und darum geht es bei der Konfirmationsvorbereitung auch.

Was wünschen sich Jugendliche?

Lambrich Das weicht wirklich ab von dem, was die Eltern wollen. Die Jugendlichen fragen eher nach dem Glauben und den Zweifeln, die sie daran haben.

Sehen Sie also klare Unterschiede zwischen den Generationen, vor allem in Bezug auf den Glauben?

Kock Ein Unterschied, der mir auffällt, ist, dass Erwachsene eher zu Kompromissen bereit sind als Jugendliche. Und damit meine ich, dass Jugendliche eher bei ihrer Meinung bleiben, während Erwachsene öfter nachgeben. Jugendliche wollen "was davon haben".

Lambrich Natürlich gibt es Unterschiede! Jede Generation ist anders, und man muss mit jedem so umgehen, wie es passt.

Marx Wir müssen die Jugendlichen so nehmen, wie sie sind. Wir können sie uns nicht backen - so, wie wir sie vielleicht gerne hätten.

Wie gehen Sie damit um, wenn Jugendliche nicht nur wenig über Kirche und Bibel wissen, sondern auch noch absolute Basics wie das Kreuzzeichen nicht mehr hinkriegen?

Kock Ich gebe zu, es gibt dann schon eine kurze Schrecksekunde (lacht). Das mache ich ihnen aber nicht zum Vorwurf, die Jugendlichen sind ja da, weil sie gerne da sind und etwas erfahren wollen. Ich erkläre ihnen dann, dass das Kreuzzeichen ein sehr wichtiges Zeichen ist - und das "Vater unser" ein sehr wichtiges Gebet. Die Jugendlichen verfallen dann aber auch nicht in betretenes Schweigen, sondern sind interessiert und lernbegierig. Bei uns geht es in der ersten Firmstunde auch um das Kreuz.

Gibt es denn auch Momente, in denen man angesichts der Entwicklung resigniert?

Lambrich Wenn mir Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene sagen, dass sie nicht recht wissen, ob sie glauben sollen, sehe ich das nicht als Anlass zur Resignation, sondern als Anlass zum Gespräch und bin dankbar dafür.

Marx Die Eltern-Generation ist da ja praktisch "durchgeschleust" worden. Ich finde es aber viel ehrlicher und mündiger, wenn jemand aufsteht und sagt, dass er damit nichts anfangen kann, als wenn kirchliche Traditionen ohne Überzeugung durchgeführt werden, weil man das angeblich eben so machen muss.

Bringen Sie auch Aspekte des Lebens der Jugendlichen mit in die Gottesdienste?

Lambrich Ja, eine Verbindung vom Gottesdienst und vom Leben ist sehr wichtig.

Kock Das sehe ich auch als extrem wichtig an. Ich finde sogar, dass man generell noch viel mehr an realer Lebenswelt in die Kirche bringen könnte.

Marx Ja, das muss unbedingt erfüllt werden. Ich nenne ein Beispiel, wie das gelingen kann: Unser Diakon René Brockers kann als Familienvater über bestimmte Dinge ganz anders als ich als Kaplan predigen. Darüber bin ich sehr froh, denn so kommen neue Aspekte in den Gottesdienst.

Haben Sie das Gefühl, dass es das Bedürfnis, etwas zu glauben, bei Jugendlichen weiterhin stark gibt?

Marx Ja, absolut!

Kock Auf jeden Fall. Mittlerweile hat Kirche da aber keine Monopolstellung mehr. Die Menschen glauben heute an ganz unterschiedliche Dinge, stehen hinter vielen Sachen voller Überzeugung. Für manche ist das zum Beispiel auch eine vegane Lebensweise. Jugendliche wollen sinnvoll leben. Der Glaube kann dabei sinnstiftend sein.

Lambrich Die Frage nach dem Sinn des Lebens beschäftigt Jugendliche definitiv. Sie suchen nach Antworten. Und da sind wir gefragt.

MARIO EMONDS UND NELE KAHN FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
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