Tagebau Garzweiler II #EndeGelaende: Die zwei Seiten einer Anti-Kohle-Aktion

Garzweiler · Am Sonntag hatte sich die Situation am Tagebau Garzweiler II in Erkelenz beruhigt. Während im Tagebau Hambach noch einmal drei Demonstranten versuchten, sich an einen Schaufelradbagger zu ketten, beobachtete die Polizei in Erkelenz rund um das Klimacamp in Lützerath einen "regen Abreiseverkehr" der Demonstranten.

#EndeGelaende: Demonstranten legen Bagger in Garzweiler still
22 Bilder

#EndeGelaende: Demonstranten legen Bagger in Garzweiler still

22 Bilder

Samstag war es hingegen zu Ausschreitungen gekommen. 30 Aktivisten hatten im Tagebau den Bagger 261 besetzt, insgesamt waren 805 Personen in die Grube geklettert und hatten damit den Betrieb bei RWE Power dort weitgehend stillgelegt. Die Kundgebung und Demonstration am Samstagnachmittag in Immerath war hingegen friedlich verlaufen.

Die Demonstranten wollten mit den Aktionen gegen den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen durch Kohlekraftwerke protestieren. Die Tagebaue seien die größten CO2-Verursacher Europas, kritisierte das Bündnis "Ende Gelände".

Am frühen Samstag hatten viele Hundert Menschen versucht, in den Tagebau bei Erkelenz zu gelangen. Im Internet und auf Flugblättern hatten die Umweltaktivisten zuvor dazu aufgerufen, sich für den Kohleausstieg zu engagieren. Letztlich gelang es den Aktivisten, in vier Gruppen in die Grube zu gehen oder die Böschung hinabzuklettern. Zunächst sprach die Polizei von rund 250 Personen im Tagebau, Samstagabend wurde dann auf 600 erhöht, und am Sonntag, als die offizielle Zahl bekanntgegeben wurde, stand fest, dass es 805 Menschen in den Tagebau geschafft hatten. Dabei hatte die Polizei sie mehrfach über Lautsprecher auf die Gefahren hingewiesen, die im Tagebau bestehen.

Gegen 19 Uhr hatte die Polizei am Samstag alle Aktivisten aus dem Tagebau herausgebracht. 797 Strafanzeigen seien gestellt worden. Ermittelt werde unter anderem wegen Hausfriedensbruchs, Landfriedensbruchs, Verstoß gegen das Waffengesetz und Störung öffentlicher Betriebe, berichtete die Polizei Düren, bei der die Leitung der rund 1200 Einsatzkräfte lag.

Nachmittags war es am Samstag rund um den Tagebau so ruhig wie selten. Die Bagger und Förderbänder schwiegen. An mehreren Stellen in dem weitläufigen Tagebau hielten sich die Umweltaktivisten und die Polizei auf, die nach und nach deren Personalien erfasste und ihnen Platzverweise erteilte. 240 Personen, die ihre Identität nicht preisgeben wollten, wurden zum Polizeipräsidium Aachen gebracht, um sie dort festzustellen. Laut wurde es zwischendurch lediglich, als drei Hubschrauber der Bundespolizei zwischenlandeten, um Einsatzkräfte schneller von einem Ort zum anderen verlagern zu können.

Heftiger zugegangen war es hingegen morgens. Aktivisten twittern über Tränengas- und Schlagstockübergriffe durch die Polizei. Bei dem Versuch, zum Tagebau und später in den Tagebau zu gelangen, kam es offenbar bei Borschemich (alt) zu vehementen Auseinandersetzungen zwischen Aktivisten und der Polizei, die von "gewaltbereiten Demonstranten" sprach. Deshalb wurden laut Paul Kemen, Polizeisprecher aus Aachen, Reizgas und Schlagstöcke eingesetzt. Mona Bricke, Pressesprecherin der Protestkampagne "Ende Gelände", erklärte dazu: "Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Polizei mit Stöcken und Tränengas auf die Demonstranten losgegangen ist. Es gab mehrere Verletzte."

Bestätigt wurden von der Polizei gestern 36 verletzte Personen. Die Aktivisten nannten rund 200. "21 Demonstranten wurden verletzt, vor allem waren es Augenreizungen aufgrund des Pfefferspray-Einsatzes", erklärte Angela Jansen, Sprecherin der Heinsberger Polizei. "Aufseiten der Polizei wurden 15 Beamte verletzt." Zwei Polizisten hätten ihren Dienst verletzungsbedingt nicht fortsetzen können. Eine Demonstrantin wurde mit Verdacht auf einen Herzinfarkt in ein Krankenhaus gefahren. Für solche Fälle war auch ein geländegängiger Rettungswagen im Tagebau vorgehalten worden.

Eine Mahnwache hatten die Aktivisten vor der ehemaligen Kirche St. Martinus in Borschemich (alt) aufgeschlagen. Hier konnten sich die Teilnehmer der Aktion mit Wasser, Obst und warmen Essen versorgen. Von hier aus fuhren einige Aktivisten auch mit Fahrrädern in Richtung Grube, hatten Obstkörbe und Wasserkanister auf ihre Gepäckträger geschnallt, um die Aktivisten zu versorgen. Die Kampagne "Ende Gelände" informierte im Schatten der früheren Kirche an einem Stand, und hier war Gelegenheit auszuruhen. Dort erzählte ein Demonstrant auf Nachfrage, dass einige Teilnehmer des eineinhalbwöchigen Klimacamps in Lützerath am Samstag frühzeitig dorthin zurückgekehrt seien. Sie hätten nicht mit gewalttätigen Auseinandersetzungen gerechnet: "Das hat uns frustriert."

Laut Guido Steffen, Pressesprecher bei RWE, liefen Samstagmittag nur vier von sechs Baggern im Tagebau Garzweiler: "Wichtig ist für uns, dass die ganze Aktion glimpflich abläuft." Wie RWE-Sprecherin Julia Modenbach gestern erklärte, nahm der Energiekonzern am Samstagabend den normalen Betrieb wieder auf. "Bis zu drei Bagger mussten wir aus Sicherheitsgründen stilllegen. Für den Betriebsablauf bedeutete das zwar eine Störung, doch wir waren darauf vorbereitet. Zu keinem Zeitpunkt war die Versorgungssicherheit gefährdet."

Am Samstagvormittag hatten sich rund 300 RWE-Mitarbeiter am Tagebau Garzweiler versammelt, um in einer Art Gegen-Kundgebung ein Zeichen für eine "sichere, bezahlbare Energieversorgung und gute Arbeitsplätze" zu setzen. Doch dann sahen sie die ersten Aktivisten im Tagebau. Da sich der Weg beider Gruppen gekreuzt hätte, "haben wir auf die Versammlung verzichtet. Wir wollten eine Konfrontation vermeiden", sagte Jürgen Linges. Der Grevenbroicher ist Vorsitzender der Vertrauensleute und Mitglied des Betriebsrates. Walter Butterweck, Betriebsrat bei RWE Power und Initiator der Aktion, betonte: "Wir wollten friedlich unsere Meinung sagen, doch das wird uns durch solche illegalen Aktionen wie ,Ende Gelände' verwehrt. Das ist nicht akzeptabel."

"Es ist nicht legitim, was die Polizei gemacht hat", kritisierten hingegen die Braunkohlengegner bei der Kundgebung in Immerath (alt), die friedlich verlief. Vor allem wehrten sie sich, kriminalisiert zu werden. Den gesamten Aktionssamstag wollten die Veranstalter dennoch als politische und friedliche Botschaft verstanden wissen. "Wir brauchen dazu den zivilen Ungehorsam", meinten Demonstranten übereinstimmend.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort