Erkelenz Bis der Pastoratshof bebt

Erkelenz · Rund 400 Rudelgucker zittern im Schwanenberger Pastoratshof beim historischen Sieg der deutschen Nationalelf im EM-Elfmeter-Drama gegen Italien mit.

 Gespannte Blicke im Schwanenberger Pastroratshof (rechts): Wird Deutschland es packen, kann die Nationalmannschaft doch gegen Italien gewinnen? Erst nach 90 Minuten plus Verlängerung plus extra langem Elfmeterschießen weicht die Spannung aus den Gesichtern. Freude bahnt sich danach auch durch die Innenstädte von Erkelenz und Hückelhoven (unten), wo lange Autokorsos rollen.

Gespannte Blicke im Schwanenberger Pastroratshof (rechts): Wird Deutschland es packen, kann die Nationalmannschaft doch gegen Italien gewinnen? Erst nach 90 Minuten plus Verlängerung plus extra langem Elfmeterschießen weicht die Spannung aus den Gesichtern. Freude bahnt sich danach auch durch die Innenstädte von Erkelenz und Hückelhoven (unten), wo lange Autokorsos rollen.

Foto: Knappe Jörg

Um exakt 23.51 Uhr bebt der Pastoratshof in seinen Grundfesten. Soeben hat Jonas Hector den letzten Elfmeter des Abends zum 7:6-Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Angstgegner Italien im EM-Viertelfinale in Bordeaux verwandelt. Ab da gibt's bei den rund 400 Rudelguckern kein Halten mehr - auch nicht bei Gastgeber Robin Banerjee. Der Pastor der Evangelischen Kirchengemeinde Schwanenberg hüpft vor Freude auf und ab und tut das, was alle tun: Er umarmt Mitgucker, stammelt freudetrunken Worte wie "Wahnsinn" und "super".

Zuvor in der Halbzeitpause hat Banerjee prophetische Qualitäten bewiesen - zumindest teilweise: "Deutschland gewinnt 1:0 durch ein Tor von Mario Gomez in der 65. Minute", hat der Pfarrer da im Gespräch mit unserer Redaktion gesagt. Und in der Tat geht die Löw-Elf exakt in der 65. Minute in Führung - wenn auch nicht durch Gomez. Der ist aber immerhin entscheidend am Tor beteiligt. Dass Italien dann noch ausgleicht, weil ausgerechnet Abwehrchef Jerome Boateng statt der Hand Gottes die eigene bemüht - das ist für den Kirchenmann beim besten Willen nicht vorhersehbar gewesen. Losgelöst vom Ergebnis freut sich Banerjee vor allem aber auch über das Gemeinschaftserlebnis: "Hier gucken 18-Jährige zusammen mit 70-Jährigen, fiebern gemeinsam mit. Großartig."

Erkelenz: Bis der Pastoratshof bebt
Foto: Laaser Jürgen

Was der Schwanenberger Clemens Venedey genauso sieht: "Ich komme hier nicht nur hin, weil ich in dem Ort wohne. Hier herrscht einfach eine familiäre Atmosphäre." Nicht zuletzt wegen der kommen auch die Brüder Daniel und Marius Schönen aus Erkelenz und Kückhoven regelmäßig zum Rudelgucken in den Pastoratshof. Was bei Marius, dem Jüngeren der beiden, zurzeit keine Selbstverständlichkeit ist: Seine Frau Anja erwartet in diesen Tagen das dritte gemeinsame Kind. "Noch ist da aber alles ruhig", versichert er. Weit weniger gelassen ist er unmittelbar vor dem Elfmeterschießen: "Wenn das jetzt gegen England wäre, wäre ich mir ja sicher, dass es gut ausgeht. Aber gegen die Italiener?" Nicht nur seine Nerven, sondern auch die aller werden im kuriosen Elferschießen dann aufs Äußerste strapaziert. Mit dem bekannt guten Ende - auch im Pastoratshof wird aus dem Angstgegner ein ehemaliger Angstgegner.

Glückselig ist darüber auch Nikolas Hermanns. Was man im ersten Moment nicht für möglich hält. Denn der ist im Pastoratshof der einzige Rudelgucker, der in einem blauen Italien-Trikot erschienen ist. "Francesco" steht hinten drauf. Das Stück hat der 28-Jährige aus Gerderhahn aber nicht freiwillig angezogen. "Ich feiere heute meinen Junggesellenabschied. Da ist mir das vom Komitee auferlegt worden", erzählt er bestens gelaunt. Böse Kommentare wegen des Trikots habe er sich aber nicht anhören müssen: "Die sind alle nett hier."

Bereits seit der WM 2006 gibt es bei Welt- und Europameisterschaften im Pastoratshof das Rudelgucken, stets veranstaltet von der Kirchengemeinde, den beiden Schwanenberger Sportvereinen SV und TV sowie der ortsansässigen Gaststätte Marktschänke. Das Quartett teilt sich die Arbeit und auch den Erlös - eine klassische Win-win-Situation.

Diesmal gab's im Vorfeld aber ein Schreckgespenst, das auf den Namen Gema hört. "Erstmals müssen wir in diesem Jahr nämlich Gebühren an die Gema zahlen", erläutert Banerjee, der kurzzeitig daher das Aus des Schwanenberger Rudelguckens gekommen sah: "Zuerst haben wir nämlich eine Größenordnung von vielleicht 5000 Euro befürchtet." Was sich gottlob aber als gegenstandslos erwies. "Es sind nur knapp 100 Euro, die wir bezahlen müssen", berichtet der Pfarrer - und stürzt sich wieder ins Gewühl.

Das tun im Anschluss ans Spiel auch etliche überwiegend junge Menschen in den Stadtzentren von Erkelenz und Hückelhoven: Per Autokorso feiern sie den deutschen Einzug ins Halbfinale.

(emo)
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