Lambertusmarkt in Erkelenz Achtung, Kitschalarm!

Erkelenz · Ballermann-Musik und Händler prägen das Bild der modernen Kirmes. Bunt, laut und atemberaubend ist auch der Lambertusmarkt. Bleibt da noch Platz für Romantik?

 Wie viel Romantik steckt noch im Lambertusmarkt?

Wie viel Romantik steckt noch im Lambertusmarkt?

Foto: Laaser, J�rgen

Das Bambiniland hat geschlossen, als die Dämmerung anbricht. Auf dem Bürgersteig kreuzen sich die Wege: Familien tragen die klebrige Beute nach Hause. Zum Lambertusmarkt strömt zu Fuß der Feierabendverkehr, vornehmlich im Doppelpack. Zum "Warmsummen" werden die Händchenhaltenden schon erwartet: Anne Gladbach und Florian Walther ("Switch") grüßen von der Bühne mit Akkustik-Gitarre und Lagerfeuer-Gemütlichkeit und die letzten Sonnenstrahlen setzen den Kirchturm in Szene. Oasis, Bruno Mars, Clean Bandit. Moment mal. Kann moderner Jahrmarkt etwa doch noch romantisch?

Wer den Bühnenplatz als Insel versteht, fühlt sich schnell umzingelt, denn überzuckerte, laute Ballermann-Atmosphäre hat auch der 40. Erkelenzer Lambertusmarkt zu bieten. Man muss genauer hinschauen, um die Routen verliebter Paare auszumachen. Ihr abendlicher Kirmesbesuch gleicht einer Art "Inselhopping". Offensichtlich ist das Holzhäuschen, das seit 37 Jahren der Stammplatz des Weinhandels "Bauer" ist, ein Magnet für Pärchen. "Beim Wein entsteht immer Romantik", heißt es dort, zwischen Stadtverwaltung und Bibliothek, Kettenkarussell und Pferderennen, Magenbrot und Dixieklo.

Das Ehepaar Oliver und Stefanie Mainz trinkt den "Sommer" aus bauchigen Gläsern. Den milden Rotwein in der einen Hand, die andere hat der 46-Jährige um die Taille seiner Frau gelegt. Am Nachbartisch stoßen auch zwei Männer auf die Liebe an. Romantik verbindet Stefanie Mainz mit der Kirmes "von früher". Die Kückhovenerin erzählt von ersten Dates am alten Bilderbogen. Und erinnert sich lachend an die Pfauenfeder, die Oliver für sie am Schießstand erbeutet habe. Fahrten auf der Raupe, Plastikblumensträuße und Pech beim Loskauf gehörten immer mit zum Liebesglück. Oliver Mainz nippt am Weinglas und schaut auf die belebte Straße: "Damals ging es jedenfalls nicht um Gürtelschnallen, Handyhüllen oder blaues Slush."

Der Himmel über Erkelenz ist längst dunkel, nur die Sommerhitze liegt noch drückend zwischen den Fahrgeschäften und Fressbuden. Der Fußweg zur nächsten Insel führt an unzähligen Händlern vorbei. Trödelmarkt-Ambiente auf der Kirmes? Den Jugendlichen stellt sich diese Frage nicht: Zu alt für das "Bambiniland" und zu jung für Kirmesnostalgie scharen sie sich um den Auto-Scooter auf dem Burgplatz. Ihre Hände halten keinen Partner, sondern Getränk und Smartphone.

Wenige Meter entfernt lehnt Volker Buchowski mit dem Luftgewehr am Schießstand. Ehefrau Trudi steht einen Meter dahinter. Er setzt fünf Schüsse. Sie zieht gelassen an ihrer E-Zigarette. Die erste Plastikrose fällt. Weitere fünf Kugeln: ein Schraubenzieher und die zweite Rose. "Von denen hat er mir schon etliche geschenkt", sagt die Kurzhaarige. Als er ihr die kleinen Röschen überreicht, sieht man hinter dem seichten Zigarettendampf ihr Lächeln. Mit Plüschtieren oder Herzballons befüllt Familie Bedorf ihren Schießstand. Achtung, Kitschalarm! Hilde Bedorf (87) sieht das anders: "Das sind moderne Jagdtrophäen."

In ihrem weißen, beinlangen Kittel sitzt sie auf der anderen Straßenseite im Süßwarenladen der Familie. Wie ein großmütterlicher Ruhepol — schwappte nicht der Trubel der Bayernwippe herüber, in der Fahrgäste herumgewirbelt werden, wie der schaumige Bierrest im Krug. Neun leere Lebkuchen-Kartons liegen bereits neben der Wickratherin. Das Strahlen der 87-Jährigen legt ihr Gesicht in tausende Falten, als sie verrät, dass der Verkaufsschlager nicht "I love you" ist: "Liebesgrüße an Mama und Oma kommen an erster Stelle."

Als das Feuerwerk beginnt, erbarmt sich auch der "Voodoo-Jumper" und befreit die Magengrube vom lauten Bass. Pärchen rücken ganz nah zusammen, man blickt Arm in Arm gen Himmel. Oder streckt zumindest das Smartphone beseelt nach oben.

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