Rees Urkunde zeugt vom Reeser Stolz

Rees · Seltene Stücke im Reeser Rathaus: Archivarin Tina Oostendorp brachte gestern ausnahmsweise die original Stadterhebungsurkunde von 1228 mit zum ersten Haus am Marktplatz, außerdem die mit 967 Jahren älteste Urkunde, die sonst gut gesichert im Stadtarchiv am Hermann-Terlinden-Weg lagert.

 Dr. Dieter Kastner stellte im Rathaus sein Buch über Reeser Urkunden vor. Bürgermeister Christoph Gerwers (links) und Kulturamtsleiter Ludger Beltermann halten die Stadterhebungsurkunde von 1228 hoch, Dr. Claudia Kauertz von der Archivberatung des Landschaftsverbandes Rheinland und die Reeser Archivarin Tina Oostendorp (rechts) präsentieren die älteste erhaltene Urkunde von 1142.

Dr. Dieter Kastner stellte im Rathaus sein Buch über Reeser Urkunden vor. Bürgermeister Christoph Gerwers (links) und Kulturamtsleiter Ludger Beltermann halten die Stadterhebungsurkunde von 1228 hoch, Dr. Claudia Kauertz von der Archivberatung des Landschaftsverbandes Rheinland und die Reeser Archivarin Tina Oostendorp (rechts) präsentieren die älteste erhaltene Urkunde von 1142.

Foto: Scholten

Grund dafür war die Präsentation des Buches "Die Urkunden des Stadtarchivs Rees. Regesten. 1142-1499" von Dr. Dieter Kastner. Das 332 Seiten dicke Buch, das vom Archivberatungs- und Fortbildungszentrum des Landesverbands Rheinland in der Reihe "Inventare nichtstaatlicher Archive" herausgegeben wurde, ist ein allumfassendes Nachschlagewerk. Es bietet Übersetzungen und Auswertungen von 478 Urkunden aus den Jahren 1142 bis 1499. Erhältlich ist es für 28,50 Euro beim Bonner Habelt-Verlag (Tel. 0228/923830) und über jede Buchhandlung.

Dass Archivarbeit keine staubtrockene Angelegenheit ist, bewies Dr. Dieter Kastner bei seiner Buchvorstellung. Voller Begeisterung entführte der 75-jährige Historiker die Zuhörer in frühere Jahrhunderte und erzählte von der einstigen Aufmüpfigkeit der Reeser gegen die Obrigkeit und den beneidenswert großen Urkunden-Bestand. Dabei hielten Wissenschaftler die älteste Urkunde von 1142 lange Zeit für eine Fälschung. "Die Urkunden jener Jahre waren quer, rechteckig und vom Erzbischof in Auftrag gegeben, doch die besagte Reeser Urkunde war längs, rechteckig und von den Reeser Kaufleuten selbst verfasst", erläuterte Dr. Kastner. Erst in den 50er Jahren wurde die Urkunde, in der die Reeser fremde Kaufleute aufforderten, auf dem großen Marktplatz zoll- und abgabefrei Handel zu betreiben, als authentisch anerkannt. Inzwischen wurde auch eine Doktorarbeit über sie geschrieben. "Die reichen Kaufleute hatten in Rees schon städtische Strukturen geschaffen, lange bevor dieser blühende Handelsplatz 1228 auch offiziell zur Stadt erhoben wurde", sagte Dr. Kastner. Entlang des Marktes standen Häuser, von denen jeweils ein schmaler Pfad zu den Schiffsplätzen am Rhein führte. Die Schiffe brachten Reeser Güter bis nach Köln und Arnheim, über die Ijssel auch bis in die Nordsee. Erst am 14. Juli 1228 kam der Erzbischof mit Gefolge nach Rees, um die Stadtrechte zu verleihen. Auch die Stadterhebungsurkunde für Xanten wurde in Rees aufgesetzt und einen Tag später - mit weniger Pomp als in Rees - zur anderen Rheinseite gebracht. Deshalb muss sich Xanten, trotz seiner rühmlich-römischen Vergangenheit, mit Platz zwei im Ranking der ältesten Städte am unteren Niederrhein begnügen.

Rees war Vorreiter einer Welle von Stadterhebungen, die um 1350 langsam zum Stillstand kam. Bis dahin waren die meisten Urkunden auf Latein verfasst, später in einer Sprache, für die Dr. Kastner den Begriff "Mittelniederrheinländisch" geprägt hat. Der gebürtige Krefelder, der am Kölner Stadtrand wohnt, beherrscht die erforderlichen Sprachen aus dem Eff-Eff. Er hat das Reeser Urkunden-Buch ehrenamtlich verfasst, die Druckkosten zahlten die Stadt Rees, zwei Privatleute und die Anton-Betz-Stiftung der Rheinischen Post.

Dr. Kastners Begeisterung für Rees geht auf das Jahr 1978 zurück. Damals hatte die Rheinstadt bei ihm zur 750-Jahr-Feier eine Ausstellung samt Katalog über die Urkunden in Auftrag gegeben. Auch zur Eröffnung des Museums Koenraad Bosman verfasste er einen historischen Überblick. Das Spätmittelalter, das von Wissenschaftlern oft stiefmütterlich behandelt wird, liegt Dr. Kastner dabei stets am Herzen: "Es ist eine vergessene Epoche. Sie war nicht finster, sondern eine Blütezeit, auch für Rees und seine Bewohner. Die Urkunden, die ich gelesen habe, belegen, dass sie nicht von dummen Leuten verfasst wurden."

(RP)
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