Emmerich Stundenbuch und Hexenverfolgung

Emmerich · Veit Veltzke, Chef des neuen LVR-Museums, hat zur derzeit laufenden Ausstellung ein Buch herausgegeben mit dem Titel "Wesel und die Niederrheinlande". Auf 500 Seiten werden die Verknüpfungen mit dem Herzogtum Kleve dargestellt.

 Zwei der farbenprächtigen Illustrationen aus dem Buch, links Katharina von Kleve, rechts der Höllenschlund.

Zwei der farbenprächtigen Illustrationen aus dem Buch, links Katharina von Kleve, rechts der Höllenschlund.

Foto: mgr

Douvermans "Wurzel Jesse" aus Kalkar ziert den Umschlag des dicken Buches, der wunderbare David mit seiner Harfe im wuchernden Wurzelwerk. Es ist eine Zeichnung des in Essen und Berlin lebenden Grafikers und Buch-Illustrators Rolf Escher, die zwar nur annähernd die Tiefe und Lebendigkeit der originalen Skulptur aus der Predella des Kalkarer Sieben Schmerzen-Altars des spätmittelalterlichen Schnitzers wiedergibt, aber bestens auf den Inhalt des über 500 Seiten starken Textbandes vorbereitet. "Wesel und die Niederrheinlande. Verknüpfte Geschichte" heißt es da. Hendrik Douvermans sich windendes Wurzelwerk steht symbolisch für die historischen Verflechtungen zwischen Wesel, den Niederlanden, den Preußen und nicht zuletzt dem Herzogtum Kleve-Jülich-Berg.

Veit Veltzke, Chef des neuen LVR-Niederrheinmuseums in Wesel, hat den Band zur laufenden Ausstellung seines Hauses herausgegeben und auch einen großen Teil der Aufsätze geschrieben. Den Begriff "Niederrheinlande" machte schon Friedrich Gorißen als Archivar und erster Direktor des Klever Museums Haus Koekkoek populär, weil er zeigt, dass der Raum Unterer Niederrhein weiter gefasst und über die Grenze gedacht werden sollte. Das sieht Veltzke mit seinem Museum, das sich mit der Geschichte dieser Region befasst, nicht anders, und zitiert Gorißen auch in seinen Aufsätzen.

Emmerich: Stundenbuch und Hexenverfolgung
Foto: Matthias Grass

Das Ganze könne man sehr schön am Beispiel der Katharina von Kleve festmachen, sagt Veltzke: Die Schwester des Klever Herzogs Johann heiratete den Gelderner Herzog Arnold, war mit der Kultur und dem Herrscherhaus des französischen Burgunds verbunden, lebte im heute niederländischen Nimwegen und in Lobith vor Emmerich und ist in Wesel beigesetzt. Er widmet ihr im Buch ein ausführliches Kapitel, das nicht nur das wunderbare Stundenbuch der Katharina von Kleve beschreibt, sondern auch die kaputte Ehe zwischen der Herzogin und Arnold von Geldern und die Ränkespiele, die stets die Fronten wechselten und quer durch die Familie gingen - alles um der Macht Willen. Das Stundenbuch soll bald im Klever Museum Kurhaus als Faksimile multimedial zu besichtigenden sein, Veltzke hat zur Illustration einige sehr schöne Blätter aus dem Stundenbuch Katharinas in seinem Textband mit abgedruckt. Der Band zeigt zudem eindrucksvoll, wie sehr das Geschehen zwischen den Polen Nimwegen und Wesel vom Klever Herzoghaus beeinflusst wurde.

Da waren die Prinzenerzieher Erasmus von Rotterdam und vor allem Konrad Heresbach, über dessen Grab in der nach ihm benannten Kapelle in der Weseler Willibrordi-Kirche das Wappen der Herzöge von Jülich-Kleve-Berg prangt. "In gewissem Gegensatz zu Erasmus und der gängigen Pädagogik seiner Zeit stülpt Heresbach seinem Zögling jedoch kein fertiges Bildungskonzept über, sondern bezieht dessen persönliche Anliegen und Neigungen mit ein", schreibt Veltzke. Das fruchtet, betrachtet man, wie unterschiedlich die Urteile gegen die Wiedertäufer in Münster und Kleve ausfallen: Gegen das grausame Strafgericht in Münster ist das Urteil in Kleve vergleichsweise milde.

Da waren die Leibärzte der letzten Herzöge von Kleve, die Humanisten Johann Weyer und Reiner Solenander. Allen widmet Veltzke spannende Beiträge, beschreibt, wie Weyer "als erster Gelehrter überhaupt (...) entschieden und umfassend gegen die Hexenverfolgungen Stellung" bezieht und nach langen Vorarbeiten 1561/62 sein bahnbrechendes Schlüsselwerk gegen die Hexenverfolgung verfasst. In Jülich. Und dass Solenander erfolgreich den Herzog mit einer Krankendiät behandelte. Im 16. Jahrhundert. Später sollte sich Solenander mit der Geisteskrankheit des preußischen Gemahls von Wilhelms Tochter Eleonore, Albrecht Friedrich, befassen - aus der Ehe leiteten die Brandenburger dann ja auch Erbansprüche ab.

Dieses Erbe wurde von "de Braziliaan" verwaltet - als Statthalter in Kleve. Für diesen, Prinz Johann Moritz von Nassau, der inzwischen als Sklavenhändler im Fokus steht, bricht Veltzke eine Lanze. Ja, er habe den Sklavenhandel von Afrika nach Brasilien unter Kontrolle der Westindischen Compagnie gebracht und habe auch profitiert. Aber: "Trotz dieser Einschränkungen weist das Gouvernement des Johann Moritz fortschrittliche Züge und Bestandteile auf, die in Europa so nicht vorhanden waren", schreibt er. Moritz habe den freien Geist gefördert, Berufs- und Glaubensfreiheit. Und die Eigenheiten und Belange der Bevölkerung beachtet. "Welcher kleine Fürst des Barock hatte 46 Künstler und Wissenschaftler an seinem Hof versammelt?", fragt Veltzke.

Der mit vielen Zeichnungen Eschers, Bildern und Karten angereicherte Band ist lesenswert nicht nur für alle, die sich mit dem Raum befassen. Er ist ein Stück Heimatgeschichte, das über den Tellerrand guckt und hier und da dem aus anderem Blickwinkel betrachteten Bekannten Neues hinzufügt.

Im Buchhandel: Veit Veltzke. "Wesel und die Niederrheinlande" , 464 Seiten, 28 Euro, ISBN 978 394 895 039,

(mgr)
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