Reeser Bildergeschichten (Teil 3) Selbstversorger: Die letzten Kötter von Rees

Emmerich · 1997 zog das Ehepaar Wellmann in den Kotten aus dem Jahr 1935. Um das Haus hat sich eine neue Nachbarschaft gebildet.

 Heidi und Heinz Wellmann präsentieren ein Ölgemälde ihres Kottens am Reeser Feld.

Heidi und Heinz Wellmann präsentieren ein Ölgemälde ihres Kottens am Reeser Feld.

Foto: Michael Scholten

Der Kotten gehörte einst genauso zum Bild des Niederrheins wie die Kopfweide und die schwarzbunte Kuh. Etwas abseits vom Stadtkern lebte der Kötter mit seiner Familie und allerlei Nutzvieh unter einem Dach, bestellte die angrenzenden Felder, hatte ein paar Obstbäume und meist auch eine Werkstatt. "Der Kötter war der klassische Selbstversorger", sagt Heinz Wellmann, den die Reeser vor allem in seiner Rolle als Nachtwächter kennen.

Als historisch interessierter Mensch wollte Wellmann unbedingt einen Kotten haben, als er und seine Frau Heidi im Jahr 1997 beschlossen, von Dinslaken nach Rees zu ziehen. Die Rheinstadt kannte Heinz Wellmann schon gut - war sie doch die Heimat seiner Patentante Anneliese Roers. Am Reeser Feld fand das Paar einen Kotten, damals noch umgeben von leeren Wiesen und Feldern. Mehr als zwei Jahre investierten die Wellmanns in die Renovierung. Aus dem Kotten, der 1935 erbaut worden war und noch immer die schlichten Sanitäranlagen der 50er-Jahre hatte, wurde mit viel Geduld und Handwerk ein modernes Wohnhaus. Elektrik und das erste Badezimmer hielten Einzug, der Strohsöller wurde zum Wohnzimmer, der ummauerte Auslauf für die Schweine dient heute als Terrasse.

Im Jahr 2000 eröffnete die gelernte Goldschmiedin Heidi Wellmann im Kotten auch ihr Geschäft "Individuum", das vor fünf Jahren in die Dellstraße umzog. Zum Einzug und zur Silberhochzeit gaben die Wellmanns bei einer befreundeten Künstlerin, Margret Ziegler aus Duisburg-Meiderich, ein Ölgemälde in Auftrag. Es zeigt im Format 60 mal 80 Zentimeter den alten Kotten in einem Meer aus Blumen und Bäumen. "Heute sind die Bäume rund um unser Haus tatsächlich so hoch", sagt Heidi Wellmann, "im Jahr 2000 entsprang diese Pracht noch der Phantasie der Künstlerin". In den letzten 15 Jahren wuchsen aber nicht nur die Bäume, sondern auch die Nachbarschaft. Ein Haus nach dem anderen wurde gebaut, die neue Straße Reeser Feld entstand, die Adresse des Kotten wechselte von Melatenweg 72 zu Reeser Feld 5. "Früher wohnten wir mitten in einem großen Maisfeld", sagt Heidi Wellmann. Heinz Wellmann, Vorsitzender des Reeser Geschichtsvereins Ressa, ergänzt: "Hier gab es im Zweiten Weltkrieg sogar eine kleine Landebahn für Aufklärungsflüge der Wehrmacht." Entsprechend nahmen die Alliierten das Gebiet unter Beschuss: "In den Mauern unseres Hauses und sogar in der alten Holztreppe haben wir noch Metallsplitter aus dem Krieg gefunden", sagen die Wellmanns.

Nicht nur das große Ölgemälde erinnert daran, wie der Kotten vor seiner Renovierung aussah. Auch ein detailgetreues Modell steht im Haus. Heinz Wellmann gab es vor 15 Jahren beim Gladbecker Modellbauer Kurt Rapkowitz in Auftrag. Anhand von Fotos und alten Bauplänen baute der Rentner den Kotten im Maßstab 1 zu 12 nach. Ein halbes Jahr lang dauerte die filigrane Arbeit an Bauernküche, Werkstatt und Plumpsklo, stolze 2742 Mini-Dachpfannen wurden einzeln geklebt, bis das Modell per Lastwagen nach Rees gebracht wurde.

Seither kann Heinz Wellmann noch plastischer beschreiben, nach welchem Prinzip der typische niederrheinische Kotten aufgebaut war: "Die gute Stube der Familie war immer Richtung Süden ausgerichtet, um die Sonne ausnutzen zu können, die Rückseite mit den Viehställen stand im lichtärmeren Norden."

(RP)
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