Rees Meine Liebe zum Polderbusch

Rees · Erwin Roos wurde am 30. Dezember 1931 in der Reeser Oberstadt geboren. Über die Geschichte und Geschichten seiner Heimat führt er seit vielen Jahren Buch. Darin kommt auch Emmerich vor, wo er als Kind gern Urlaub im Polderbusch machte.

Bayern, die Nordsee oder gar Ziele jenseits von Deutschland waren für uns "Böhmische Dörfer". Um dort Urlaub zu machen, hatten wir kein Geld. So entdeckte ich meine Liebe zum Emmericher Polderbusch. Meine Tante Maria Zimmermann wohnte dort mit ihrer Familie direkt am Waldrand in einer Doppelhaushälfte. Wenn die Schulferien begannen, saß ich sofort in der Straßenbahn und fuhr Richtung Emmerich. Meine Mutter brachte mich in Rees zur Station und beauftragte den Schaffner, bis zur Endstation gut auf mich aufzupassen. Die "Elektrische", wie die Bahn im Volksmund hieß, fuhr durch ganz Emmerich und schließlich bis zu den Ölwerken der "Germania". Dort holte mich mein Cousin mit dem Fahrrad ab. Das war gut so, denn ich hatte einen Strohkoffer dabei, in dem sich alle Utensilien für einen dreiwöchigen Urlaub befanden.

Die Familie, die mich beherbergte, hatte zwei Jungs. Einer war in meinem Alter. Wir haben uns gut verstanden. Ganz in der Nähe des Hauses war die Platzanlage des Tennisclubs Rot-Weiß Emmerich. Mein Onkel betreute diese Anlage und machte die Plätze jeden Morgen spielbereit. Wir begleiteten ihn und packten mit an. Bei Trockenheit mussten die Plätze gewässert und gewalzt werden. Die weißen Begrenzungsstreifen wurden mit einem Spezialbesen gefegt, auch der Aufenthaltsraum, die Terrasse und die Umkleideräume mussten hergerichtet werden. So ergab es sich, dass ich bei Turnieren als Balljunge dabei sein durfte. Jeder Balljunge bekam fünf Reichsmark bar auf die Hand. Für mich viel Geld.

Die Familie meiner Tante hatte einen Schäferhund namens Rex. In der abgelegenen Gegend sollte er für Sicherheit sorgen, obwohl Einbrüche damals noch eine Seltenheit waren. Rex empfing jeden Besucher - auch mich - mit lautem Gebell. Und er hatte gute Ohren.

Wenn in der Stadtmitte die Sirenen ertönten, konnten wir das bei ungünstig stehendem Wind nicht hören. Doch Rex schlug in seinem Zwinger sofort an. Wir Jungs haben uns viel mit dem Hund beschäftigt und immer dafür gesorgt, dass er seinen Auslauf im Polderbusch bekam.

Als die Royal Air Force am 7. Oktober 1944 Emmerich in Schutt und Asche legte, wurde auch das Haus meiner Tante schwer beschädigt. Das Ziel der Bombe war vermutlich ein naher Wasserturm, doch weil die vielen Bäume das Geschoss abfederten, landete es wohl auf dem Haus und zertrümmerte das Dach. Meine Tante, ihre Familie und viele andere Emmericher wurden vorübergehend nach Rees evakuiert, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht zerstört war. Rasch wurden sie aber mit der Eisenbahn nach Magdeburg und in andere Städte gebracht. Mein Vater war als Soldat an der Ostfront. Er schickte uns von dort noch einen Feldpostbrief, nachdem er gehört hatte, dass die Westfront näher rückte. Er riet uns, unser Haus in der Reeser Oberstadt zu verlassen und bei den Verwandten im Polderbusch Schutz zu suchen. Er wusste ja nicht, dass seine Schwester schon längst in Magdeburg war.

Vor einigen Jahren war ich noch einmal im Polderbusch. Das Haus meiner Verwandten steht noch immer, aber nicht mehr inmitten der Natur, in der ich mich damals so wohl gefühlt habe. Heute ist dort kein Waldrand mehr, sondern ein Wohngebiet. Als ich vor dem Haus stand, kam ein bisschen Wehmut auf. Denn die Urlaubs-Idylle, die ich dort in meiner Kindheit genoss, war verflogen. So bleibt mir nur noch die Erinnerung an meine Ferien im Polderbusch.

(RP)
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