Rees Matchbox-Autos: Als Bienen boomte

Rees · Bis zu 50 Millionen Spielzeugwagen fanden von hier aus ihren Weg in deutsche Kaufhäuser und Geschäfte..

 Die Matchbox-Autos musste die Rheinische Post für dieses Foto extra mitbringen. Theo Wissing besitzt keins. Er sagt: "Das Herz eines echten Kaufmanns darf nicht an seiner Ware hängen." So manchen Zeitungsbericht über die goldene Matchbox-Zeit in Bienen hat er aber aufgehoben.

Die Matchbox-Autos musste die Rheinische Post für dieses Foto extra mitbringen. Theo Wissing besitzt keins. Er sagt: "Das Herz eines echten Kaufmanns darf nicht an seiner Ware hängen." So manchen Zeitungsbericht über die goldene Matchbox-Zeit in Bienen hat er aber aufgehoben.

Foto: Michael Scholten

Die größte Sammelgarage Deutschlands stand von 1959 bis 1979 in Bienen. Die Firma EDOR des niederländischen Kaufmanns Jakob Prins lieferte von hier aus jährlich bis zu 50 Millionen Miniaturautos der Marke Matchbox in alle deutschen Kaufhäuser und Spielwarengeschäfte. Prins hatte die Vertriebsrechte von der britischen Firma Lesney erworben. Als er täglich zwischen seiner holländischen Heimat und seinem Arbeitsplatz in Duisburg pendelte, fiel ihm nahe der B8 die leerstehende Molkerei in Bienen auf. 1959 pachtete er die Immobilie an der Cobrinkstraße und baute 1964, 1969 und 1971 jeweils 1000 Quadratmeter große Lagerhallen. Heute ist dort die Keramikscheune untergebracht.

"EDOR war einer der wichtigsten Gewerbesteuerzahler von Rees, der Jahresumsatz lag bei 45 bis 50 Millionen Mark", sagt Theo Wissing. Der gebürtige Praester war damals Betriebsleiter und zuständig für das Rechnungs- und Finanzwesen. Fast 70 Mitarbeiter, meist angelernte Frauen aus Bienen und Umgebung, arbeiteten bei EDOR. Die Autos wurden in England produziert, täglich kamen zwei Schiffscontainer mit vielen tausend verpackten Modellen über Rotterdam nach Bienen. Sobald der Reeser Zoll die Ware freigegeben hatte, wurde sie umverpackt und mit Lkw und Eisenbahn in alle deutschen Städte transportiert. "Wir brauchten keine Computer oder Roboter", sagt Theo Wissing. "Jakob Prins hatte alles im Blick, er wusste immer, welche Modelle in England geordert und wohin sie geliefert werden sollten."

Voller Lob spricht Wissing von seinem früheren Chef: "Er war ein echter Familienmensch." Die Löhne waren für Reeser Verhältnisse sehr gut, das 13. Monatsgehalt war ebenso Standard wie der Weihnachtsbonus, der in der besonders arbeitsintensiven Adventszeit ausgezahlt wurde. Sogar die Fahrer der Spedition Klein-Wiele erhielten Extrageld, und auch Theo Wissing erinnert sich an einen großen Scheck: "Jakob Prins gab mir 5000 Mark Weihnachtsgeld, fuhr in den Urlaub und sagte mir: ,Ich verlasse mich auf dich!' Da habe ich natürlich noch mehr gearbeitet als ohnehin schon."

Die späten 70er-Jahren dämpften die Erfolgsgeschichte. Jaap Prins ging zum Januar 1978 in Rente, der begeisterte Segler genoss fortan seinen Ruhestand auf den Weltmeeren. Neuer Geschäftsführer wurde Paul Handrick, der schon bald verkündete, dass die britische Mutterfirma die Hallen in Bienen schließen und den Vertrieb in das verkehrstechnisch günstiger gelegene Aschaffenburg verlegen wollte. Ausgerechnet auf der 750-Jahr-Feier der Stadt Rees verbreitete sich die schlechte Nachricht. Der damalige Bürgermeister Josef Tasch flog nach London, um für den Standort Bienen zu kämpfen. "Diese Reise hätte er sich schenken können", sagt Theo Wissing, "die Entscheidung war längst gefallen." 1979 verlor Rees den Steuerzahler und Arbeitgeber. "Ich hätte mit nach Aschaffenburg gehen können", sagt Theo Wissing, "aber die Mentalität der Menschen dort ist ganz anders als bei uns am Niederrhein."

Bis heute wohnt er in Bienen. Nach seiner Matchbox-Karriere arbeitete für die Firma Elektrobau Methling, später Imtech, in Wesel, zur Jahrtausendwende machte er sich selbstständig und gründete mit einem Partner die Firma Eulektra. Erst im Januar 2014 ging der zweifache Großvater in Rente. Im Wettbewerb "365 Orte im Land der Ideen" erhielt Eulektra Ende 2011 einen Preis in der Kategorie Umwelt, überreicht vom damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff.

Nachdem in Bad Reichenhall die Decke einer Eislaufhalle unter der Last des Schnees eingestürzt war, entwickelte Eulektra eine elektrotechnische Umschaltung, die eine Photovoltaikanlage bei Bedarf in eine Schneeschmelzanlage umkehrt und so Menschenleben retten kann.

(RP)
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