Emmerich Kupferstich trifft moderne Malerei

Emmerich · Die Ausstellung "Hendrik Goltzius und Pia Fries: Proteus und Polymorphia" im Museum Kurhaus Kleve erinnert an den 400. Todestag des Kupferstechers aus dem 17. Jahrhundert und konfrontiert seine Bilder mit moderner Kunst.

 Pia Fries' Bilder können als Reaktion auf den Niobe-Fries von Hendrik Goltzius gesehen werden.

Pia Fries' Bilder können als Reaktion auf den Niobe-Fries von Hendrik Goltzius gesehen werden.

Foto: van Offern Markus

Hendrik Goltzius hat das Kurhaus erobert: mit den muskulösen Helden der Antike, mit den drallen, freizügigen Damen aus der Mythologie, mit den Bildern der Heiligen Familie, mit seinen Soldaten und Schwanenschwenkern. 240 Arbeiten des Kupferstechers aus Brüggen-Bracht, der als Jugendlicher in Xanten wohnte und schließlich in Den Haag zur Berühmtheit wurde, hat das Klever Museum versammelt. Eine gigantische Werkschau meist klein- bis mittelformatiger Blätter aus der Zeit des Umbruchs zwischen Renaissance und Barock zum 400. Todestag des Stechers. Eine Schau, die auf die Breite der eigenen Sammlung verweist, ein großes Konvolut stammt aus der Sammlung Angerhausen, sowie mit Leihgaben aus Kevelaer, Rheydt, Schwerin und den Niederlanden. Schließlich wolle man alle Serien komplett haben, erklärte gestern bei der Vorstellung der Ausstellung die Kuratorin Valentina Vlasic. Diese Fülle ist einerseits spannend. Jedes Blatt verlockt in manieristischer Detailübertreibung zum genauen Hinsehen, zum Studium Bild für Bild. Jedes der Goltzius-Blätter ist voller Geschichten und Erzählungen.

 Hendricks Goltzius Himmelsstürmer und Fries' malerischer Zyklus in der Säulengalerie.

Hendricks Goltzius Himmelsstürmer und Fries' malerischer Zyklus in der Säulengalerie.

Foto: Markus van Offern

Fast wie ein Comik-Strip wirkt ein Stich vom Mythos der Niobe. Der erzählt die Geschichte der Königin, die sich über die Götter stellt und von diesen brutal gestraft wird: Die Götterkinder Artemis und Apollo bringen ihre sieben Söhne und die sieben Töchter um, ihr Mann begeht Selbstmord und Niobe erstarrt zu Stein.

Und dann sind da noch die Helden Roms, lässt Herkules seine Muskeln spielen. Herkules und die Helden wirken in ihrer überhöhten Körperlichkeit wie aus einem modernen Fitnessstudio entsprungen. Übertrieben formt Goltzius jeden Muskel aus, als posiere sein Held wie 400 Jahre später Arnold Schwarzenegger. Aber: Diese Fülle ist andererseits irgendwann Reihung.

Das eigentlich Faszinierende, das Spannende, Überraschende der Ausstellung ist die wunderbare Farbmalerei von Pia Fries, die als Kern inmitten der vielen Goltzius-Stiche steht. Die Schweizer Malerin mit Atelier in Düsseldorf wird in wenigen Wochen den mit 50.000 Euro dotierten Gerhard-Altenbourg-Preis des Lindenau-Museums im thüringischen Altenburg ausgezeichnet. Das Kuratorium habe sich für "eine Vertreterin der reinsten Malerei" entschieden, hieß es zur Preisvergabe. Pia Fries ist die erste Frau, die diesen Preis bekommt. Dass sie eine Vertreterin der reinsten Malerei ist, kann jeder in der Klever Ausstellung sehen: Grandios ihre Farblandschaften über stürzende Muskelmänner auf weiß grundierten, dicken Holzplatten. Die Farbe ist pastos, mehr als fingerdick wie im spontanen Schwung auf die Leinwand gebracht. Fries setzt so den Sturz in Farbe und nichts als Farbe um. Die Grundlage für diese Bilder sind jene Männer, die Goltzius im 17. Jahrhundert in seiner Serie der Himmelstürmer stach. Männer, die vom Himmel fallen, die ins uferlose trudeln. Fries übernimmt sie als Siebdruck. Auf diese Bewegung des Falls, auf die verdrehten Körper, reagiert die Schweizerin mit einem ersten Farbauftrag, der die Bewegung des Fallens kommentiert, ihn in bunten Schwung versetzt. Auf diese Farbe wird die Figur oder werden Teile der Figur nochmals als Siebdruck gesetzt, die wiederum übermalt werden. So entsteht Schicht um Schicht ein neues Bild, das einerseits Goltzius ins Hier und Jetzt holt, den Stecher aber andererseits vergessen lässt in sich auflösenden Formen, die nur als schwungvolle Farbe daherkommen. Faszinierend.

"Es geht hier um den Rhythmus, um die Bewegung. Um die Körperlichkeit, die Stofflichkeit der Farbe", erklärt Pia Fries. Tatsächlich ließe sich die Farbe, dürfte man die Bilder anfassen, geradezu erfühlen, so skulptural stehen auf als Farbbewegung auf der mattweißen Holzplatte. Zuletzt bleiben mächtige Farbschwünge, die von Goltzius erzählen, wenn man seine Bilder gegenüber hat, wenn man weiß, dass eines seiner Bilder den Anstoß für diese Auseinandersetzung gegeben hat. Tatsächlich ist Fries Malerei aber vor allem eigenständige, abstrakte Version einer sich bewegenden Fahne, einer Figur, eines fallenden Mannes. "Die Bewegung des Farbauftrags wird wichtiger als die ganze Ikonographie des Vorbilds", sagt Museumsdirektor Harald Kunde. Die Autonomie der Farbe ist dann so stark, dass ungemein starke, abstrakte Malerei bleibt.

(mgr)
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