Rees Jedi-Ritter verdrängt Winnetou

Rees · Karl May gibt es nicht mehr in der Reeser Stadtbücherei. Niemand will die Bücher ausleihen. Neue Helden sind gefragt.

 "Star Wars"-Bücher dominieren das Angebot in der Kinder- und Jugendabteilung der Stadtbücherei. Winnetou und andere Karl-May-Helden, die Büchereileiter Thomas Dierkes in seiner Kindheit las, wurden aussortiert.

"Star Wars"-Bücher dominieren das Angebot in der Kinder- und Jugendabteilung der Stadtbücherei. Winnetou und andere Karl-May-Helden, die Büchereileiter Thomas Dierkes in seiner Kindheit las, wurden aussortiert.

Foto: Michael Scholten

Winnetou, Old Shatterhand oder Kara Ben Nemsi: Karl Mays Abenteuerromane gehören zu den am häufigsten übersetzten deutschsprachigen Büchern. Die Verfilmungen aus den 1960er Jahren sind Evergreens, auch der neue "Winnetou"-Dreiteiler auf RTL rückte den legendären Apachenhäuptling zu Weihnachten 2016 wieder ins Bewusstsein einer ganzen Nation. Da sollten die Karl-May-Bände im 175. Geburtsjahr des Schriftstellers gefragt sein wie lang nicht mehr. Sollte man meinen...

Doch die Realität sieht anders aus: "Wir haben die Karl-May-Bände vor Jahren aus unseren Beständen genommen", sagt Thomas Dierkes, Leiter der Stadtbücherei Rees. "Das ist uns schwergefallen", ergänzt er, "aber weil niemand die Romane ausleihen wollte, haben wir uns von ihnen getrennt."

Dierkes selbst hat Karl Mays Bücher in einer Kindheit verschlungen. Wie fast alle Jungs seiner Generation, waren die Bände ein beliebtes Geschenk zur Kommunion und zum Geburtstag oder wurden vom Vater an den Sohn vererbt. Umso mehr wundert sich Thomas Dierkes, dass Winnetou heute vielen Kindern unbekannt ist: "Wenn wir Grundschüler durch die Bücherei führen und fragen, wer der bekannteste Indianer ist, lautet die Antwort meist: Yakari."

Der junge Held einer französisch-belgischen Zeichentrickserie läuft im Kinderfernsehen und hat Winnetou den Rang abgelaufen. Im Fall von Leseanfängern zeigt Thomas Dierkes dafür sogar Verständnis: "Neben spannenden Passagen gibt es natürlich auch Strecken mit weitschweifiger Moraltheologie." Nicht umsonst suche der Karl-May-Verlag "händeringend, aber bislang relativ erfolglos" nach neuen Modellen, um auch junge Leser wieder für die Abenteuer aus vergangenen Jahrhunderten zu begeistern. Die Gunst der Leseanfänger gehört derzeit nicht mehr Cowboys und Indianern, sondern Jedi-Rittern und Sturmtruppen aus dem "Star Wars"-Universum. Die Weltraum-Saga, die vor 40 Jahren ihren Siegeszug durch die Kinos und Kinderzimmer antrat, dominiert auch die Kinder- und Jugendabteilung der Stadtbücherei Rees. Aus Thomas Dierkes' Sicht ist das ein zweischneidiges Schwert: "Einerseits freue ich mich über alles, was Kinder zum Lesen animiert, andererseits stehe ich den Inhalten mancher Bücher skeptisch gegenüber."

Während die "Star Wars"-Filme zum Teil erst ab zwölf Jahren freigegeben sind, richten sich vor allem die "Lego Star Wars"-Fernsehserien und Buchreihen an Grundschüler. "Die Helden kämpfen zwar für das Gute, aber auch sie setzen Waffen und Gewalt ein, um ihre Ziele zu erreichen." Dierkes lobt und kritisiert zugleich die Marketingstrategie, die hinter den "Star Wars"-Büchern steckt: "Schüler, die schon die Lego-Figuren haben und die Serie im Fernsehen lieben, greifen als Erstleser zu den passenden Büchern und begeistern sich als Teenager schließlich für die Kinofilme." Ohnehin seien Kinder- und Jugendbücher heute nur noch Bestandteil einer Vermarktungskette: Sie erscheinen als Buch zum Film, zum Hörspiel oder zum Spielzeug und haben von vornherein seriellen Charakter.

Ungebrochen groß ist in der Stadtbücherei Rees die Nachfrage nach Jugendkrimi-Reihen wie "Fünf Freunde" und "Die drei ???". Letztere erscheinen seit mehreren Jahren auch in der Erstleserfassung "Die drei ??? Kids" mit einem zehn Jahre alten Detektivtrio oder als "Die drei !!!" mit den Mädchen Kim, Franzi und Marie, die aktuellen Modetrends hinterherjagen, wenn sie nicht gerade Verbrechen lösen. "Da werden alle Rollenklischees bedient", sagt Dierkes.

(RP)
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