Das Dorf am Niederrhein Haldern ohne Pop

Haldern · Unser Autor kennt das kleine Dorf am Niederrhein nur im Festival-Ausnahmezustand. Jetzt ist er hingefahren. Einfach so. Land-Klischees hat er erwartet, auf eines aber war er nicht vorbereitet.

 Drei historische Traktoren auf einem Parkplatz in Haldern.

Drei historische Traktoren auf einem Parkplatz in Haldern.

Foto: Ludwig Krause

Was haben wir hier schon getanzt. Na gut, gewippt, der große Tänzer war ich nie. Bis tief in die Nacht, bei Regen und Kälte, Hitze und Schweiß. Zu Sängern, die schon groß waren, Bands die erst groß werden mussten oder jenen, die nie groß wurden. Das Haldern Pop Festival macht es einem leicht, sich zu verlieben. Ineinander, in die Musik. Drei Tage im Jahr mag es vielleicht nicht der friedlichste Ort der Welt sein, er fühlt sich aber ziemlich danach an. In dem nichts zählt außer der nächste Auftritt. Was aber bleibt, wenn die Musik geht?

Sonntagnachmittag, A3. Knapp eine Stunde dauert es von Düsseldorf in den kleinen Ort. Ich will Haldern erleben, ganz ohne Festival. Spätestens am Schild zur Abfahrt in Hamminkeln kribbelt es gewaltig, auch wenn dicke Regenwolken aufziehen. Festival-Kribbeln, Macht der Gewohnheit. Nur noch wenige Kilometer bis — ja was eigentlich? Ein Dorf mit 5000 Einwohnern, an der Bundesstraße gelegen, das von Feldern, Pferden und Kühen angekündigt wird. Mit zwei Bahnverbindungen, einer evangelischen und einer katholischen Kirche. Niederrhein, wie man ihn mit all seinen Klischees zeichnen würde.

Manche Festivals bauen für wenige Tage eine ganze Stadt auf. Das Parookaville in Weeze, im selben Landkreis wie Haldern, ist so eines. Mit eigenem Supermarkt, Riesenrad und Tattoostudio. Weeze muss man dafür nicht einmal durchfahren haben. So etwas hat man hier nie gebraucht, weil das Haldern Pop im Dorf stattfindet. Klar gibt es ein Festival-Gelände mit Bühnen. Sam Smith hat aber eben auch schon in der Dorfkirche gesungen, andere in der Haldern Pop Bar gegenüber. Wer aufs Festival geht, kommt ums Dorf nicht herum.

Die Wolken hängen immer noch schwer über dem Ort, als ich aussteige. Der Rewemarkt hat Dauerwurst im Sonderangebot, auf dem Parkplatz davor stehen drei historische Traktoren. Sie sind heute das Spektakel des Tages. Wer mit dem Fahrrad vorbeikommt, hält an und macht Fotos. Väter heben Söhne auf den Fahrerplatz, Alte fachsimpeln über Technik und Motoröl, Kolben und Zylinder, ich verstehe nur die Hälfte.

In der Dorfmitte gibt es ein Restaurant, das auch Zimmer vermietet. Hier schläft beim Festival, wer nicht auf den Zeltplatz möchte. Wir sind immer demonstrativ mit Camping-Ausrüstung vorbeigelaufen, auch wenn uns bei all den Fleischplatten regelmäßig der Magen geknurrt hat. Eben doch was anderes als Schokodrink und Fertigwaffeln. Hier wollte ich schon immer hin. Jetzt mache ich es. Eine Speisekarte wie ein kleines Buch. Schon der randvoll gefüllte Brötchenkorb vorneweg verrät, worauf es hier ankommt: satt werden. 250 Gramm Kalbsteak mit Kartoffelecken und Salat. Ob sie sich aufs Haldern Pop freue, frage ich die Kellnerin. Sie strahlt. Man sei schon seit Monaten ausgebucht. "Und dann sieht man auch mal andere Leute im Ort."

In einer alten Telefonzelle haben Dorfbewohner eine Bücherbox eingerichtet. Sowas gibt es auch in Düsseldorf, so eine volle habe ich aber noch nie gesehen. An der Fensterscheibe klebt eine Anleitung, drinnen fällt mir ein Was-ist-was-Buch über Pferde auf. Ich könnte es ja mitnehmen und beim Festival ein anderes Buch zurückbringen. Ich traue mich nicht und gehe weiter.

Auf der Straße zum Festivalgelände hinauf wird das Kribbeln immer stärker. Das ist die Allee der Euphorie, auf der sonst alle fahren, die gerade ankommen. Wenn laute Musik aus den Autofenstern dröhnt oder hastig noch der Zeitplan studiert werden muss. Jetzt kommt eine Gruppe älterer Damen vorbeigefietst, wie man Fahrradfahren am Niederrhein nennt. Das Surren ihrer E-Bikes verrät sie. Wo links und rechts des Weges sonst Zeltdörfer entstehen, fährt jetzt ein Bauer mit seinem Traktor Bahnen. Wo sonst die Prachtstraße entlang der Dixieklos führt, über die viele aufgebrezelt in Richtung Bühne laufen, ist jetzt unschuldige Wiese.

Mich überkommt, womit ich nicht gerechnet habe. Dieser Ort, dieses Haldern, fühlt sich an wie zu Hause. Ich möchte losrennen, tanzen statt wie sonst nur zu wippen. Ich lasse es, auch weil die Gruppe Damen angehalten hat, um mit einer Anwohnerin zu sprechen. Jeden Meter, den ich auf sie zu, an ihnen vorbeigehe, fixieren sie mich mit ihren Blicken. Ich strahle sie an. Weder sie noch ich wissen genau, warum. Haldern ist einer von jenen Orten, die man im Leben braucht, um vom Alltag nicht erdrückt zu werden.

Es geht nicht darum, ob hier wirklich alles einfacher und schöner ist. Ich habe schon besser gegessen und einen Traktor anzustarren, gibt mir ehrlich gesagt auch nicht viel. Aber selten hat sich beides so angefühlt wie hier. Wenn am Donnerstag die Sonne über dem Dorf aufgeht, kommen wieder Tausende, um sich zu verlieben. Ich habe immer gedacht, in das Festival. Bis ich mal in den Ort gefahren bin, als die Musik nicht spielte.

(lukra)
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