Rees Haldern-Mix von Avantgarde bis Chart-Hits

Rees · Vielfalt war auch bei der 32. Auflage des Festivals Programm. Die Musikrichtung, die es in Haldern nicht gibt, gibt es wohl nicht.

 Die Stimmung vor der Hauptbühne war bestens. Wie so oft war Haldern ein Phänomen: Selbst unbekannte Bands konnten sich über großen Publikumszuspruch freuen.

Die Stimmung vor der Hauptbühne war bestens. Wie so oft war Haldern ein Phänomen: Selbst unbekannte Bands konnten sich über großen Publikumszuspruch freuen.

Foto: Latzel

Eins zeigte sich nach dem Open-Air deutlich: Das 32. Haldern Pop Festival bot in diesem Jahr wieder vielen Musikern eine Bühne, die sich den Mechanismen des Popzirkus widersetzen. Das deutsch-schweizerische Duo "Grandbrothers" ist schon hinsichtlich der Rahmenbedingungen eine Herausforderung für Veranstalter: Für ihre avantgardistische Klaviermusik brauchen Erol Sarp und Lukas Vogel nicht nur einen sperrigen Flügel, sie unterziehen diesen auch noch einer zweistündigen Präparation.

 Tschüss Haldern: The Slow Show wären am liebsten gar nicht mehr von der Bühne gegangen.

Tschüss Haldern: The Slow Show wären am liebsten gar nicht mehr von der Bühne gegangen.

Foto: Markus van Offern

Dass sich diese Arbeit lohnt, war in den Gesichtern der Besucher im Tonstudio Keusgen deutlich zu erkennen. Tief versunken lauschten die Zuhörer Sarps Klavierspiel, das durch elektromechanische Hämmer und digitale Klangmanipulation erweitert wurde. Studiobetreiber Klaus-Dieter Keusgen hütete die Regler, während durch eine Seitentür der Gesang des Berliner Chors "Cantus Domus" eindrang und sich mit dem perkussiven Klicken der "Grandbrothers" vermischte.

Dies war einer von vielen einzigartigen Momenten auf dem Haldern Pop 2015, das sich durch ein besonders vielfältiges Line-Up auszeichnete.

Der Freitag auf der Hauptbühne war dementsprechend von Kontrasten geprägt: Olli Schulz sorgte mit heiterem Liedgut und den obligatorischen Blödeleien für familienfreundliche Unterhaltung, Schunkeleinlagen und lud gemeinsam mit Bernd Begemann zum Mitgröhlen ein: "Du bist verhaftet wegen sexy" dürfte einer der seltsamsten Songs gewesen sein, der je auf dem Festivalplatz zu hören war. Auf Schulz schrägen Auftritt folgte der schrille Post-Rock der Damen von "Savages". Nach deren Klanggewitter war Nils Frahm an der Reihe, von Moderator Hein Fokker als "Meister der Stille" angekündigt. Frahm bewegte sich so unvorhersehbar zwischen Elektronika à la "Tangerine Dream" und zeitgenössischer Klaviermusik, dass man sich hätte fragen können: Gehört so etwas auf ein Musikfestival?

Beim straffen Zeitplan und fünf unterschiedlichen Auftrittsorten blieb für solche Überlegungen aber nur wenig Zeit. Robin Junicke aus Bochum stellte sich am Samstag trotz des Unwetters frühzeitig für "Woods of Birnam" in die Reihe vor dem Spiegelzelt: "Das gleichnamige Debütalbum ist einfach großartig."

Etwas unterkühlt kamen die Chartstürmer von "Family of the Year" rüber. Der eingängige Folk-Pop wollte zu nachmittäglicher Stunde noch nicht so recht zünden. Alle schienen auf den Überhit "Hero" zu warten, den es erst als letzten Song gab. Es wird die Frage sein, ob diese Nummer vielleicht doch noch zum Fluch wird. Wenn die Band nicht irgendwann nachlegt, wird sie immer an dem Hit gemessen werden. Nachdem es wie aus Eimern geregnet hatte, ließ der Regen beim Auftritt von "Father John Misty" nach. Bei erdigen Rock-Nummern wie "Hollywood Forever Cemetery" schüttelten sich die Fans den Regen aus den Haaren.

"The Slow Show" feierten bei ihrem Auftritt den bisherigen Höhepunkt ihrer engen Beziehung mit dem Lindendörfchen: Mit Chor und ausgedehnter Bläsersektion kam ihr Zeitlupen-Rock besonders stimmungsvoll. Der Regen hielt die Fans nicht davon ab, fast jede Zeile mitzusingen. Bei "Bloodline" zelebrierte der Platz "Everybody's home now" in einer Endlosschleife, womit sich irgendwie der Kreis zum Eröffnungstag schloss, als "Dotan" mit ihrem Song "Home" den Fans ebenfalls das Gefühl gegeben hatten, wieder zuhause zu sein.

Zuhause war auf jeden Fall Stefan Honig, für den jedes Haldern-Gastspiel ein wahres Freudenfest ist. Diesmal war er mit dem Indie-Folk-Projekt "Tour of Tours" gekommen, das sich aus mehreren befreundeten Bands rekrutiert. Die euphorische Publikumsreaktion im Spiegelzelt spornte Stefan Honig und Konsorten zu gesanglichen Höchstleistungen an. Passenderweise hatte jede Combo aus ihrem Repertoire die Songs ausgesucht, die sich am besten für mehrstimmigen Gesang eignen.

(jbr)
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