Emmerich Die geheime Synagoge von Issum

Emmerich · Es gibt ein Kleinod zu entdecken in Issum im Kreis Kleve: die ehemalige Synagoge an der Kapellener Straße. Ganz versteckt liegt sie in einem Hinterhof. "Orientieren Sie sich an der Weinhandlung in der Kapellener Straße, daneben liegt der Durchgang zum Hinterhof", sagt Johannes van Leuck von Arbeitskreis "Jüdisches Bethaus Issum", der Führungen durch die ehemalige Synagoge anbietet. Ein Davidstern auf dem schmiedeeisernen Eingangstor weist dem Besucher den Weg zu dem ehemaligen Bethaus. "Meines Wissens ist dies die einzige original erhaltene Dorfsynagoge am unteren Niederrhein", sagt van Leuck. Das kleine Gemeindezentrum, bestehend aus Synagoge, Mikwe (rituelles Reinigungsbad), Schulhaus und Lehrerwohnung, hat die Reichskristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938 unbeschadet überstanden und dies wohl nicht zuletzt ihrer versteckten Lage zu verdanken. Doch der Reihe nach: Vor rund 250 Jahren seien die Juden an den Niederrhein gekommen, berichtet Johannes van Leuck. Die älteste Spur eines Bethauses der Issumer Juden führt in das Jahr 1791 zurück. Das heute erhaltene Gebäude wurde 1855 von der jüdischen Gemeinde gekauft, es wurde aber wohl schon vorher als Betraum genutzt. Um 1860 war die Blütezeit des Judentums am Niederrhein. Die jüdische Gemeinde in Issum bestand damals aus etwa 50 Mitgliedern.

1869 wurde eine Elementarschule an die Synagoge angegliedert. Als Lehrer fungierte der Kantor der Gemeinde, Jacob Meyerson. Für ihn hielt die Gemeinde zwei kleine Räume als Dienstwohnung über dem Schulraum bereit. Im Kellergeschoss unter dem Klassenzimmer befand sich die Mikwe. Ab etwa 1890 wurden die jüdischen Gemeinden kleiner, weil die Menschen in das Ruhrgebiet abwanderten, um dort Arbeit zu finden. Es wurde um 1900 auch für die jüdische Gemeinde immer schwieriger, das Bethaus vorschriftsmäßig zu nutzen: "Das heißt, es musste wenigstens zehn glaubensfähige Männer geben, den sogenannten Minjan, um einen vollständigen jüdischen Gottesdienst abzuhalten", berichtet van Leuck. Infolgedessen ging die Synagoge in den Besitz der benachbarten Synagogengemeinde Geldern über und wurde 1935 an den nichtjüdischen Uhrmachermeister Bernhard Kliewe aus Issum verkauft. "Sie wurde auf diese Weise 'arisiert', um es mit dem damaligen Sprachgebrauch zu benennen", erzählt van Leuck. Fortan wurde das ehemalige jüdische Gemeindezentrum als Werkstatt und Lagerraum genutzt; die Mikwe etwa diente als Kohlenkeller. Dies erwies sich jedoch als Glück für das Ensemble, denn der Uhrmachermeister veränderte nichts am Bethaus, es blieb alles im Originalzustand erhalten.

Fast ein halbes Jahrhundert lang lag die ehemalige Synagoge im "Dornröschenschlaf" und wurde 1984 durch die Nachforschungen einer Studentin für ihre Examensarbeit gleichsam "wiederentdeckt". Die Gemeinde erwarb 1987 den Gebäudekomplex und führte nicht nur die Unterschutzstellung durch, sondern errichtete eine Mahn- und Gedenkstätte für das niederrheinische Landjudentum. Am 6. Mai 1990 wurde es der Öffentlichkeit übergeben. Heute kann man das Gebäudeensemble besichtigen (Öffnungszeiten siehe Infokasten). Im ehemaligen kleinen Klassenzimmer erinnert eine hölzerne Schulbank an die ursprüngliche Nutzung: "Hier haben bis zu 20 Kinder gesessen - die Luft war sicherlich zum Schneiden", schmunzelt van Leuck. Heute findet sich in diesem Raum eine Dokumentation über das jüdische Leben in Issum. Ein Ausschnitt aus der Geldern'schen Zeitung vom 8. August 1882 berichtet von den Feierlichkeiten anlässlich der Goldhochzeit des jüdischen Ehepaares Bouscher, "den allseitig geachteten Jubilaren", an der das ganze Dorf teilhatte. Wie anders liest sich dagegen das letzte Dokument im Schaukasten, auf dem unter dem Datum vom 29. März 1943 vermerkt ist: "Issum ist judenrein".

Unter dem Klassenzimmer befindet sich eine der seltenen Mikwen. Sie ist im Originalzustand erhalten. Im Obergeschoss über dem Klassenzimmer, der ehemaligen Lehrerwohnung, ist eine Ausstellung jüdischer Kult- und Gebrauchsgegenstände zu sehen. Ein zum Sabbatmahl gedeckter Tisch lässt die Traditionen jüdischen Lebens lebendig werden. Fotos und Texttafeln halten die Erinnerung an die deportierten und ermordeten jüdischen Gemeindemitgliedern wach.

(RP)
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