Lothar Bleckmann "Das System ist krank"

Emmerich · Der 44-jährige Mediziner ist seit zehn Jahren HNO-Arzt in Kleve. Er bezeichnet die Lage für Patienten und Ärzte als untragbar.

 Lothar Bleckmann bei der Arbeit: Der 44-jährige HNO-Arzt bewertet die medizinische Versorgung in seinem Fachgebiet als extrem schlecht.

Lothar Bleckmann bei der Arbeit: Der 44-jährige HNO-Arzt bewertet die medizinische Versorgung in seinem Fachgebiet als extrem schlecht.

Foto: Evers

Kreis Kleve Der Klever Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. Lothar Bleckmann (44) bewertet die medizinische Versorgung auf seinem Fachgebiet in Kleve als miserabel. Bleckmann, der vor drei Monaten mit seiner Praxis zur Tiergartenstraße 1 (Ecke Heldstraße) umgezogen ist, bemüht sich seit Jahren darum, einen Kollegen für eine Mitarbeit in der Praxis zu gewinnen. Mit überschaubarem Erfolg. Im Interview stellt der 44-Jährige die Probleme dar, die es in der Kreisstadt gibt.

Wie viele HNO-Ärzte praktizieren in Kleve?

Lothar Bleckmann Es gibt neben mir noch einen Kollegen mit einer kassenärztlichen Zulassung, der jedoch aufgrund seines Alters in ein oder zwei Jahren seine Praxis schließen will. Ein dritter Facharzt behandelt lediglich Privatpatienten. Das ist für eine 50.000-Einwohner-Stadt wie Kleve zu wenig.

Es ist schon ein Erfolgserlebnis, wenn es gelingt, bei Ihnen telefonisch jemanden zu erreichen. Wie lange wartet man auf einen Termin?

Bleckmann Wenn es sich um eine Kontrolle handelt, etwa acht Wochen. Ich weiß aber von Ärzten anderer Fachgebiete, dass Patienten dort wesentlich länger auf einen Termin warten. Bei uns kommen während der Sprechstundenzeiten täglich etwa 160 Anrufe an. Es ist nicht zu schaffen, alle eingehenden Gespräche sofort entgegenzunehmen, obwohl sich fast immer zwei Mitarbeiterinnen darum kümmern.

Somit dürften sich die täglichen Behandlungszahlen immer am oberen Limit bewegen.

Bleckmann Am Tag versorge ich durchschnittlich 60 Patienten. Als es im Studium hieß, man solle pro Behandlung etwa fünf Minuten einplanen, haben wir uns alle angeguckt und gesagt, aber nicht bei uns. Wir nehmen uns Zeit für die Menschen. Jetzt merke ich, diese Fünf-Minuten-Medizin ist realistisch. Zwischen 1400 und 1500 Patienten kommen im Quartal zu mir. Für jeden Versicherten erhalte ich eine Pauschale von 25 Euro im Quartal, unabhängig davon, wie häufig er behandelt werden muss.

Fünf Minuten können nicht ausreichen.

Bleckmann Tun sie auch nicht. Wenn jemand kommt und sagt, er habe Ohrenschmerzen, dann untersuche ich ihn und kann womöglich nichts feststellen. Jetzt könnte ich sagen 'tut mir leid, aber hier ist nichts zu sehen'. Unterhält man sich aber mit dem Patienten und erfährt, dass er auch Probleme mit der Nackenmuskulatur hat, schaut man sich diese genauer an. Wenn das Abtasten plötzlich große Schmerzen hervorruft, so weiß man, dass die Ohrenschmerzen wohl daraus resultieren.

Sie suchen seit acht Jahren einen Kollegen, der bei Ihnen einsteigt.

Bleckmann Die Praxis ist groß. Es gibt genug zu tun. Aber es will keiner aufs Land. Wobei Kleve kaum etwas mit Land zu tun hat.

Welche Gründe gibt es für die ausbleibenden Kollegen?

Bleckmann Die sind ähnlich wie bei den anderen Fachrichtungen. Das Leben in einer Großstadt ist für viele attraktiver. Manche legen Wert auf Sicherheit und geregelte Arbeitszeiten. In einigen Regionen gibt es zudem eine höhere Dichte an Privatversicherten. Für Patienten ist die Situation dort ebenfalls angenehmer. Entweder man bekommt am selben Tag einen Termin, oder ruft den nächsten der 25 Fachmediziner in der Stadt an. Der Kreis hat viel versucht, um Kollegen zu bewegen, hier eine Praxis zu eröffnen. Geholfen hat es nicht. Das System ist krank.

Was müsste aus Ihrer Sicht passieren, damit sich die Situation verbessert?

Bleckmann Wir sind unterfinanziert. Viele schreckt auch das Risiko ab, eine Praxis zu eröffnen. Da ist man im Krankenhaus auf der sicheren Seite. Es geht über finanzielle Anreize. Es ist gesetzlich aber eben nicht möglich, für ländliche Regionen aus dem System auszubrechen.

Während der Woche ist die Versorgung keineswegs optimal, jetzt soll sie sich am Wochenende weiter verschlechtern?

Bleckmann Es wird eine neue Regelung für die HNO-Notfallversorgung in Kraft treten. Ab dem kommenden Jahr ist vorgesehen, dass Notfälle am Wochenende nur noch in einer Krefelder Klinik behandelt werden. Wenn dann samstags oder sonntags Nasenbluten einsetzt, das nicht zu stoppen ist, muss man nach Krefeld.

Warum sind Sie in Kleve gelandet?

Bleckmann Aus familiären Gründen. Meine Frau kommt vom Niederrhein. Wichtig für mich ist, dass ich, trotz einer verbesserungswürdigen Situation, meine Entscheidungen nie bereut habe. Ich bin gerne HNO-Arzt, freue mich darauf, meinen Patienten zu helfen und fühle mich hier sehr wohl. Kleve ist mehr als ein Fleck kurz vor der Grenze.

DIE FRAGEN STELLTE PETER JANSSEN

(RP)
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