Kommentar Das Credo der Temperantia

Emmerich · Im Rathaus hängt das 300 Jahre alte Bild, das die beiden Frauen Justitia und Temperantia zeigt. Letztere steht für Mäßigung - eine Eigenschaft, die in den aktuellen Entwicklungen in Emmerich von Nöten ist.

 Das Gemälde im Emmericher Rathaus zeigt die prominente Justitia und ihre weniger bekannte Gefährtin Temperantia. Die durch sie verkörperte Mäßigung wird als Korrektiv zur Gerechtigkeit benötigt.

Das Gemälde im Emmericher Rathaus zeigt die prominente Justitia und ihre weniger bekannte Gefährtin Temperantia. Die durch sie verkörperte Mäßigung wird als Korrektiv zur Gerechtigkeit benötigt.

Foto: Stadt Emmerich

Der stellvertretender Bürgermeister von Emmerich, Herbert Ulrich, hat in dieser Woche bei der Einführung des neuen Bürgermeisters die vielen Menschen im Rathaus auf ein großes Bild hingewiesen, das dort hängt. Es ist über 300 Jahre alt.

Zu sehen sind zwei Frauen: Justitia mit verbundenen Augen, eine Waage in der einen Hand und ein Schwert in der anderen. Neben ihr Temperantia. Beide Frauen haben sich eingehakt, und zwar so, dass sich der Arm mit dem Schwert nicht bewegen kann.

Justitia kennen wir alle. Sie steht für die Gerechtigkeit. Temperantia ist kaum noch bekannt. Dabei ist sie wichtig. Sie steht für die Mäßigung. Nicht in dem Sinne, dass der Mensch seine Neigung zu verschiedenen Vergnügungen zügeln soll. Hier geht es vielmehr um die Fähigkeit zu angemessenem Handeln im konkreten Einzelfall.

Dargestellt wird Temperantia auf dem Bild im Ratssaal als eine Frau, die zwei Krüge in der Hand hält und deren Inhalt miteinander vermengt. Das steht symbolisch für die Ausgewogenheit, die richtige Mischung. Oder wie Herbert Ulrich es formulierte: "Gerechtigkeit kann sehr hart, oft grausam sein. Deshalb ist es wichtig, dass sich zu ihr auch die Mäßigung gesellt." Heißt: Verliere nicht das Augenmaß!

Ulrich fügte hinzu, dass es die Darstellung der beiden Figuren auf einem Bild nicht oft gibt. Zufall oder nicht: Die Emmericher haben sich irgendwann für die Kombination beider Tugenden entschieden. Und ich finde, dass das sogar heute noch zu spüren ist. Beispielsweise in einem hohen Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit.

Das war Emmerich immer schon viel Aufwand wert. Nicht nur im weltlichen Bereich. Die Vielzahl der kirchlichen Stiftungen - hier sei nur die Waisenhausstiftung genannt - darf nicht unerwähnt bleiben. Schließlich gilt die Mildtätigkeit (Caritas) Christen als eine Tugend. Bei anderen Religionen ist es ebenso.

Temperantia hat für mich in dieser Woche aber noch etwas anderes bewirkt. Sie hat dafür gesorgt, dass wir über Anstand reden. Also über moralisch und ethisch richtiges Verhalten, das wir als selbstverständlich empfinden. Unser alltäglicher Maßstab für Gut oder Böse.

Dafür gibt es zwei Beispiele.

Da ist die Reaktionen der Menschen auf die Hassparolen auf der Facebook-Seite "Du bist Reeser", über die wir in dieser Woche berichtet haben. Innerhalb von Stunden meldete sich die Hälfte der Mitglieder ab. Die Seite existiert nicht mehr.

Und ich meine einen Satz von Emmerichs Stadtsportbund-Chef Rüdiger Helmich. Auf die Absage der beliebten Emmericher Hallenstadtmeisterschaften der Fußballvereine in der Hansahalle, in der jetzt Flüchtlinge untergebracht worden sind, sagte er: "Wir können ja schlecht unsere Kinder in der Halle Fußball spielen lassen und die Flüchtlingskinder liegen auf der Straße."

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Vielleicht nur ein Kompliment an Temperantia: Von ihrer Kraft hat die Dame auch nach 300 Jahren nichts verloren. Und bildhübsch ist sie ja sowieso. Im wahrsten Sinne des Wortes.

(RP)
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