Rees Aus Warnung wird eine Welle der Angst
Rees · Ein Kind erzählt von Männern, die es mitnehmen wollen. Auf Facebook und WhatsApp verbreitet sich die Nachricht.
Die Leiterin der Grundschule in Haldern, Hannah Komnick, hatte gestern Morgen kaum noch Stimme. Ab 7.45 Uhr telefonierte sie mit Kollegen aus anderen Schulen in Rees und Hamminkeln, die im Alarmmodus waren. Der Grund: Ein Brief der Schulleiterin, veröffentlicht in Facebook und verbreitet auf Whatsapp.
In dem Brief riet Komnick den Eltern in Haldern, mit ihren Kindern darüber zu sprechen, dass man nicht bei Fremden ins Auto steigt. Anlass für den Brief waren die Schilderungen eines Kindes aus der dritten Klasse. Es hatte gesagt, dass es vor Unterrichtsbeginn in Höhe des Rewe-Marktes in Haldern von mehreren Männern angesprochen worden sei. Diese seien in einem blauen VW Bulli unterwegs gewesen und hätten ihm angeboten, mitzufahren und Playstation zu spielen.
Komnick gab die Schilderungen in dem Brief an die Eltern wieder. Und zwar so formuliert, dass der Eindruck entsteht, dass die Angaben des Kindes korrekt sind. "Was hätte sie auch sonst tun sollen", könnte man fragen. Andere Formulierungen hätten die Glaubwürdigkeit des Kindes in Frage gestellt, ihm möglicherweise geschadet.
Bei der Polizei, der dieser Fall auch mitgeteilt wurde, sind die Beamten bei solchen Schilderungen immer hellhörig. Sie nehmen das ernst, aber sie wissen aus Erfahrung, dass sich nicht immer alles so zugetragen haben muss. Und damit ist nicht böser Wille unterstellt. Regelmäßig gibt es Hinweise auf ein fremdes Auto, in dem ein Mann sitzt und Kinder anspricht. Erzählt wird das von Kindern in der Schule oder zuhause.
Aber auch Erwachsene glauben, Zeuge einer versuchten Straftat geworden zu sein. Etwa, wenn sie erzählen, dass sie einen Wagen gesehen haben, der am Schulweg geparkt war. Als sie dann auf den Wagen zugegangen seien, habe der Fahrer schnell das Weite gesucht. Bis vor wenigen Jahren gingen solche Nachrichten von Mund zu Mund. Oder man telefonierte. Die Schule jedenfalls hatte die Lage unter Kontrolle und konnte steuern, wie nun auf den Vorfall oder den vermeintlichen Versuch reagiert werden muss.
Im Halderner Fall erlebte die Schulleiterin die Reaktionen von Eltern und teilweise von Unbeteiligten so, wie sie in Zeiten von Facebook und WhatsApp häufig sind: panisch bis hysterisch, hochemotional. Auf jeden Fall mit einer rasend schnellen Geschwindigkeit. "Ich habe sogar einen Anruf aus den Niederlanden bekommen", sagte sie gestern.
Der Grund ist für diejenigen, die WhatsApp nicht nutzen, schnell erklärt: Dieser Dienst ermöglicht die kostenlose Weitergabe von Text- und Sprachnachrichten sowie von Bildern und kurzen Filmen. Schüler oder Eltern organisieren sich bei diesem Dienst in Gruppen. Sie glauben, dadurch einen Vorteil zu haben, weil alles, was mit der Schule zusammenhängt, schnell bei ihnen landet und sie darauf reagieren können.
In diesem Fall war die Neuigkeit natürlich schockierend. Entsprechend schnell waren die Warnungen verschickt. Panik und Angst waren geschürt. Und zwar so schnell, dass die Schulleiterin der Entwicklung nur hinterherlaufen konnte. Sie schrieb den Brief an die Eltern erst danach. Dass dieser Brief auch noch fotografiert und bei Facebook eingestellt wurde, hat sie sich nicht vorstellen können. Aber genau das geschah - und sorgte dafür, dass die Panik noch einmal gesteigert wurde.
Fazit: Niemand weiß, ob sich die Sache so zugetragen hat oder nicht. Die Polizei ist auf der Hut, wie bei vielen anderen gemeldeten Fällen dieser Art. Und vermutlich wird in wenigen Tagen eine andere Nachricht zu einem anderen Thema bei Facebook und WhatsApp die Gemüter erregen. Hannah Komnick wäre es vermutlich recht. Statt panische Mitmenschen zu beruhigen, kann sie sich dann wieder auf ihren Job konzentrieren.