Rees Abenteuer auf einem Frachtschiff

Rees · Norbert Meyboom und seine Abenteuerreise. Die führte ihn vor mehr als 50 Jahren in den Kongo und nach Angola.

 Norbert Meyboom fuhr 1966 mit dem Frachtschiff Najade in den Kongo und nach Angola. Die riesige Maske aus Eisenholz kaufte er in der Hafenstadt Matadi.

Norbert Meyboom fuhr 1966 mit dem Frachtschiff Najade in den Kongo und nach Angola. Die riesige Maske aus Eisenholz kaufte er in der Hafenstadt Matadi.

Foto: Michael Scholten

"Zeit im Fluss" heißt die aktuelle Ausstellung im Emmericher Rheinmuseum, in der Elke Fischer und Sabine Theil ihre Rheinreise mit dem Containerfrachtschiff Grindelwald von Basel nach Rotterdam dokumentieren. Als Norbert Meyboom auf diese Ausstellung aufmerksam wurde, weckte sie sofort Erinnerungen an seine eigene Abenteuerreise. Die führte ihn vor mehr als 50 Jahren während seines Lehramtsstudiums in den Kongo und nach Angola - an Bord des Frachtschiffs Najade.

Rees: Abenteuer auf einem Frachtschiff
Foto: Michael Scholten

"Ich war 23 Jahre alt und suchte einen ungewöhnlichen Studentenjob", sagt der 74-jährige Reeser. "Nachdem ich Reedereien in Bremen und Hamburg angeschrieben hatte, bekam ich die Zusage für einen Bananenfrachter, der durch den Panamakanal nach Ecuador fuhr."

 Oben: Das Motorschiff Najade war auf der Hamburger Werft Blohm & Voss gebaut worden und fuhr unter deutscher Flagge. Unten: Angolas Hafenstadt Luanda stand 1966 noch unter portugiesischer Kolonialherrschaft.

Oben: Das Motorschiff Najade war auf der Hamburger Werft Blohm & Voss gebaut worden und fuhr unter deutscher Flagge. Unten: Angolas Hafenstadt Luanda stand 1966 noch unter portugiesischer Kolonialherrschaft.

Foto: Michael Scholten

Aufgrund der verderblichen Ware sollte die Passage aber nur zwei Wochen dauern und bot kaum Landgänge. "Langweilig", befand der in Witten aufgewachsene Arztsohn und entschied sich lieber für das Angebot, nach Afrika zu fahren. Das Motorschiff Najade, benannt nach einer griechischen Nymphe, die über Quellen, Bäche, Flüsse und Seen wacht, war 110 Meter lang und nagelneu.

Für den deutschen Kapitän Thorben war die Tour, die vom 18. August bis 20. Oktober 1966 dauerte, die letzte Reise vor seiner Pensionierung. Er sollte Maschinen nach Afrika liefern und später mit Edelhölzern heimkehren.

Norbert Meyboom wurde als Smutje angestellt. Er ließ sich gegen Gelbfieber und Malaria impfen, fuhr per Anhalter nach Bremen und mit dem Zug nach Hamburg. Die Besatzung bestand aus 26 Mann, die meisten waren Deutsche, aber es gab auch einen Österreicher und zwei Spanier, die in Las Palmas als "Rostklopfer" an Bord geholt wurden. Von Gran Canaria ging es nonstop zum schwarzen Kontinent. "Ich habe das Meer noch nie so spiegelglatt gesehen", sagt Norbert Meyboom. "Delfine begleiteten unser Schiff, fliegende Fische sprangen über die hohe Bordwand an Deck." Doch es gab auch Tage, an denen Meyboom das Meer hasste: "In der Biscaya hatten wir einen Wellengang, bei dem ich grün und blau wurde. Hätte mir jemand eine Pistole gegeben, hätte ich mir vor lauter Seekrankheit eine Kugel durch den Kopf gejagt."

Als Smutje war Norbert Meyboom "Mädchen für alles". Er half in der Küche, servierte den Offizieren, Funkern und dem Kapitän das Essen, reinigte deren Kajüten und kümmerte sich um den Abwasch. "Dann bekam ich die schnellste Beförderung meines Lebens: Der Steward ernannte mich zum Messesteward und übertrug mir die Schlüsselgewalt über Spirituosen, Fressalien und die Kühlschränke."

Das Abladen der Frachtschiffe dauerte damals, vor der Einführung genormter Container, in jedem Hafen mehrere Tage. "Es gab kaum Kräne, alles musste von Hand geschleppt werden", sagt Norbert Meyboom. "Bis man an der Reihe war, vergingen meist einige Tage, in denen man in Sichtweite des Hafens auf dem Meer ankern musste."

Den ersten Landgang in der Republik Kongo unternahm der Student in der Hafenstadt Matadi. "Das Land litt noch unter den Folgen der grausamen Kolonialherrschaft der Belgier", sagt Norbert Meyboom, "weshalb der Kapitän ein striktes Ausgehverbot verhängt hatte."

Der Messesteward ging trotzdem auf den Markt und kaufte ein Souvenir, das er noch heute besitzt: eine riesige Männermaske aus schwerem Eisenholz. "Ich habe sie gegen meinen Wintermantel getauscht", lacht Meyboom. "Ich brauchte den bei 40 Grad Celsius eh nicht und der Händler wollte ihn unbedingt haben."

Anders als die Republik Kongo war Angola 1966 noch eine westliche Kolonie, die erst 1975 unabhängig von Portugal wurde. In der Hauptstadt Luanda hielt es die Matrosen nicht mehr lang an Bord. "Das waren kräftige Jungs, die nach der vielen Seeluft ganz schnell zu bestimmten Damen wollten", so Norbert Meyboom.

Meyboom ging mit an Land, zog aber einen Besuch auf den Märkten und in den Wohnvierteln vor: "In den Hütten lebten Huhn, Schwein und Mensch zusammen, ich wurde sogar zu einer Hochzeit eingeladen und verständigte mich mit den Leuten mit Händen und Füßen."

Einmal nahm sich Meyboom fünf Tage Urlaub, die ihm zustanden. Er besuchte Benguela im Süden Angolas. "Dort lebten viele deutsche Aussiedler, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Höfe im Osten verloren hatten. Da ihre Kinder eine gute Bildung erhalten sollten, gründeten sie eine Internatsschule in Benguela." Meyboom blieb drei Tage, freundete sich mit einem Lehrer an und beschloss, später in den Auslandsschuldienst gehen zu wollen. Die Schule in Benguela steht heute leer, weil die deutschen das Land in den 70er Jahren gemeinsam mit den Portugiesen verließen, als nach der Unabhängigkeit ein Bürgerkrieg ausbrach.

Nachdem das Motorschiff Najade mit Edelholz beladen worden war, nahte der Abschied von Afrika. "Unser Österreicher ist allerdings dort geblieben, weil er sich verliebt oder verirrt hat", sagt Norbert Meyboom. "Wir haben noch ein paar Stunden auf ihn gewartet, aber er kam nicht. Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht."

Die Faszination für das Wasser und die Schifffahrt hat sich Norbert Meyboom bis heute bewahrt. Mit 70 trat er dem Reeser Kanuclub bei, fast täglich ist er an der Rheinpromenade und schaut den Schiffen hinterher. Der Auslandsschuldienst, den er einst geplant hatte, beschränkte sich auf ein Jahr an einem Internat in Großbritannien. Danach schulte er auf Sonderpädagogik um, begann 1974 an der Fröbelschule in Emmerich und wenige Jahre später an der Anne-Frank-Schule in Rees zu arbeiten.

Im Januar 2017 sorgte Meyboom bundesweit für Schlagzeilen, als er mit zwei anderen Männern eine Kette bildete, um eine Frau aus dem Rhein zu retten, die in der starken Strömung Selbstmord begehen wollte. Bei der Aktion stand Meyboom bis zur Hüfte im Wasser und konnte die Frau aus dem Wasser ziehen.Der alte Kapitän Thorben wäre garantiert stolz auf seinen früheren Smutje gewesen.

(RP)
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