Duisburg Zwei polnische Jungen allein zu Haus

Duisburg · Gestern wurde im voll besetzten Filmforum die "Große Klappe" für den besten Film des doxs!-Festivals verliehen. Der mit 5000 Euro dotierte Preis ging an die Dokumentation "Mama arbeitet im Westen" von Ase Svenheim Drivenes.

 Jugendliche Schüler gestern im Filmforum. Auch in der Jury saßen Schüler. Regisseurin Ase Svenheim Drivenes (oben rechts) hat sich in ihrem Film mit dem Thema alleingelassener polnischer Jungen befasst, deren Eltern in westlichen Ländern arbeiten.

Jugendliche Schüler gestern im Filmforum. Auch in der Jury saßen Schüler. Regisseurin Ase Svenheim Drivenes (oben rechts) hat sich in ihrem Film mit dem Thema alleingelassener polnischer Jungen befasst, deren Eltern in westlichen Ländern arbeiten.

Foto: Probst / Sant & Usant / Doxs

Mit dem Vorurteil, dass Filme für Kinder und Jugendliche immer lustig und harmlos sind, hat das vor 14 Jahren in Duisburg gegründete "doxs!"-Festival längst gründlich aufgeräumt. Bei "doxs!" geht es um anspruchsvolle Dokumentarfilme für Kinder und Jugendliche. "doxs"! läuft parallel zur Duisburger Filmwoche, doch steht das junge Festival deshalb längst nicht mehr im Schatten des älteren. Das zeigte sich wieder einmal eindrucksvoll gestern bei der Preisverleihung von "doxs!". Die mit 5000 Euro dotierte "Große Klappe" ging an einen Film, der ein Thema behandelt, das alles andere als harmlos ist: die Auswirkungen moderner Arbeitsmigration auf familiäre Beziehungen.

"Mama arbeitet im Westen" heißt der ausgezeichnete Film der norwegischen Regisseurin Ase Svenheim Drivens. Der Film schildert ein Familienschicksal, wie es sie 100.000-fach in Polen gibt: Der zu Beginn des Films zwölfjährige Kuba muss mit seinem kleineren Bruder in Polen allein zurückbleiben, weil die geschiedenen Eltern in der Heimat keine passende Arbeit finden. Die Mutter ist wochenweise von Zuhause fort, weil sie in Wien ihr Geld verdient. Der Vater ist sogar monatelang weg, weil er in Schottland die besten Arbeitschancen hat.

Auf das Thema ihres Films, so berichtete die Regisseurin, sei sie in Oslo gestoßen. Auch in Norwegen würden viele Polen arbeiten, die ihre Kinder in der Heimat zurücklassen, wo sie von Bekannten oder den Eltern der Eltern, betreut werden. Sechs Wochen habe sie in Polen nach einer Familie gesucht, die bereit war, an ihrem Dokumentarfilm mitzuwirken. Und zwar auf eine Weise, die das Leben in einer solchen Situation authentisch und ungeschönt zeigt.

"Mama arbeitet im Westen" hat nichts mit Komödie im Stil von "Kevin allein zu Haus" gemein; die Dokumentation macht die Zuschauer, ob jung oder alt, betroffen. Natürlich ist der zwölfjährige Kuba, der seine Eltern eigentlich selber noch nötig hat, vollkommen mit der Aufgabe überfordert, auf seinen kleinen Bruder aufzupassen. Der will sich nicht waschen, will nicht zu Bett gehen, will nur Chips und sonst gar nichts essen. Auch die Freundinnen der Mutter, die Mahlzeiten zubereiten und vermutlich die Wohnung sauberhalten, wissen mit den beiden aufsässigen Jungen nichts anzufangen.

Kuba reagiert auf die beklemmende Situation zunehmend aggressiv. Es gibt damit an, dass er sich in der Schule prügelt, und es dauert nicht lange, da steht er wegen Sachbeschädigung (in der Schule) vor dem Jugendgericht. All das wird nicht gespielt. Ase Svenheim Drivenes ist mit der Kamera dabei, wenn die alarmierten Eltern Kuba zum Jugendgericht begleiten. Und die Regisseurin zeigt auch, wenn Kuba in Tränen ausbricht und wie die Eltern selber mit den Tränen kämpfen.

Bemerkenswert ist, dass keine Erwachsenen, sondern dass Duisburger und Moerser Schüler in der Jury für die "Große Klappe" saßen. Und die Schüler formulierten eine schöne Begründung, weshalb "Mama arbeitet im Westen" den wichtigen von der Bundeszentrale für politische Bildung gestifteten Preis bekommen soll: "Wir würdigen einen Film, dem es gelingt, die Geschichte einer durch die Abwesenheit der Eltern geprägten Kindheit mit Hilfe von sehr klaren und gleichzeitig unaufdringlichen Bildern zu erzählen. Dabei zeichnet er ein höchst persönliches, zutiefst emotionales und umfassendes Porträt des Protagonisten und bringt dem Zuschauer eine noch weitgehend unbekannte Thematik auf sehr bewegende Weise nahe."

Der Film endet mit der gemeinsamen Abreise der Mutter mit ihren beiden Söhnen. "Wie geht es der Familie heute?", fragte eine jugendliche Jurorin die Regisseurin nach der mit viel Applaus bedachten Vorstellung des Films. Die Antwort ist tröstlich: Die Mutter lebt mit ihren beiden Söhnen in Wien. Kuba, mittlerweile 17, spricht fließend Deutsch und kommt in der Schule klar.

Preispate für die Große Klappe war im Filmforum der junge TV-Moderator und Kabarettist Philipp Walulis, der auf eine entsprechende Schülerfrage sagte, dass er selber heute einen Film über die FIFA drehen würde.

(pk)
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