Duisburg Ziemlich beste Freundinnen seit 1965

Duisburg · Unsere Gastautorin war vor 50 Jahren Schülerin des damaligen Johanna-Sebus-Gymnasiums, als sie am jungen Schüleraustausch-Programm Duisburg - Calais teilnehmen konnte. Eine persönliche Freundschaft besteht noch heute.

Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag war gerade unterschrieben (22. Januar 1963), Konrad Adenauer und Charles de Gaulle hatten damit den Grundstein für ihre persönliche Freundschaft gelegt, da sollte sich nun auch die junge Generation aus Frankreich und Deutschland auf den Weg machen, um das Nachbarland mit seiner reichen Kultur, seinen freundlichen und offenen Menschen und wunderschönen Landschaften kennenzulernen. Zu dieser jungen Generation gehörten auch meine Freundin Christine Delrue/Delbrouk (13 Jahre alt) aus Calais und ich, Annette Sonnen/Woyde (15 Jahre alt) aus Angermund. Ich ging auf das damalige Johanna-Sebus-Gymnasium in Duisburg, die heutige Gesamtschule Mitte in der Falkstraße.

Im Juli 1965 erreichte dann ein Bus mit rund 20 jungen Französinnen Duisburg, wo er mit Spannung erwartet wurde. Wir deutschen Schülerinnen waren sehr neugierig, wer uns als Austauschpartnerin zugeteilt werden würde, denn wir hatten vorher keinerlei Kontakt zueinander, wussten weder den Namen, noch das Alter und konnten uns nicht vorstellen, wie die andere aussehen würde, denn es gab keine Fotos.

Christine war eine der letzten Schülerinnen, die zugeteilt wurde, und schaute mich sehr schüchtern und verhalten an. Was mag sie gedacht und empfunden haben? Wenige Tage später fuhr unsere gemischte Austauschgruppe zusammen ins Schullandheim Marienhagen, um sich näher kennenzulernen. Wir feierten dort auch zusammen am 14. Juli 1965 den französischen Nationalfeiertag, an dem wir uns mit dem verkleideten, was wir hatten, um für ein bisschen Feierstimmung zu sorgen.

Normalerweise wäre ich mit der Gruppe im Anschluss direkt nach Calais gefahren, doch kam die Hochzeit meiner Schwester dazwischen, bei der ich natürlich nicht fehlen wollte. Ich fuhr dann in den darauffolgenden Ostertagen im März 1966 alleine nach Calais, um dort meinen Gegenbesuch abzustatten und Christines Familie kennenzulernen. Meine Schule beurlaubte mich sogar, weil in Frankreich die Osterferien früher begonnen hatten.

Die Fahrt war sehr aufregend für mich, weil ich erst ein Jahr Französisch hatte und es mir vorkam, als würde ich in eine völlig andere Welt gebeamt. Anrufen konnte ich zuhause nicht, denn ein Telefongespräch musste auf der Post angemeldet werden, und es dauerte drei bis vier Stunden, bis die Verbindung nach Deutschland zustande kam. Um mir etwas ganz Besonderes zu bieten, nahm mich Christines Familie mit auf eine Reise quer durch Frankreich nach Nizza, wo wir eine Woche bei einer befreundeten Familie wohnten. Es war eine sehr spannende und aufregende Reise. Ich hatte bis dahin noch nie das Meer gesehen und die vielen unterschiedlichen Landschaften auf dem Reiseweg gefielen mir sehr. Die Verständigung war äußerst schwierig, da meine Freundin so gut wie kein Deutsch sprach und ich erst ein Jahr Französisch hatte. Und dann noch die vielen unterschiedlichen Gewohnheiten, wie zum Beispiel Küsschen hier, Küsschen da ...

In Nizza waren wir bei den Mahlzeiten immer rund 20 Personen; südliche Lebensweise, fremdartige Wortfetzen wild durcheinander geworfen, fröhliches Lachen und Lebensfreude pur! Obwohl ich immer stundenlang an meinen Sätzen bastelte und bei ihrem Einsatz der Anlass längst vorüber war, fühlte ich mich quicklebendig und pudelwohl!

Ich war so begeistert von den Menschen, der Gastfreundlichkeit und dem französischen "savoir vivre", dass mich dies später veranlasste, Romanistik zu studieren und Französischlehrerin zu werden - ein Beruf, den ich mit ungeheurer Freude an der französischen Sprache und mit Elan 40 Jahre lang ausgeübt habe.

Christine und ich hatten sehr viele Gemeinsamkeiten: Sie kam aus einer Familie mit vier Kindern, zwei davon Zwillingsschwestern, auch meine Familie hatte vier Kinder und ich habe einen Zwillingsbruder. Wir waren uns wesensmäßig sehr ähnlich und äußerst anpassungsfähig, weil wir den Gastfamilien mit großer Sympathie und Achtung entgegentraten. Mit Kind und Kegel (Großeltern, Eltern, Geschwistern, Ehemännern und eigenen Kindern) besuchten wir uns in den darauffolgenden 50 Jahren regelmäßig. Auch an unseren Tafeln saßen immer rund 15 bis 20 Leute, die gemütlich die für sie fremden Gerichte kennenlernten und zu schätzen wussten.

Nun komme ich gerade aus Calais zurück, wo wir, fast auf den Tag genau, unser 50-jähriges Austauschjubiläum gefeiert haben. Christine und ihr Mann hatten ein tolles Programm für mich zusammengestellt mit Kanalrundfahrt, Ausflug zum Cap Blanc-Nez, der Besichtigung des Musée de la dentelle und der Besichtigung des Rathausturmes. Es wurden wie eh und je Gäste in Christines Haus herzlich willkommen geheißen, wobei es in deutscher, französischer und englischer Sprache wild durcheinanderging. Welch ein Genuss!

Rückblickend bin ich von Herzen dankbar für diese enorme Bereicherung meines Lebens durch die 50-jährige Freundschaft mit Christine. Hätte die französische Sprache wohl so eine bedeutende Rolle in meinem Leben ohne den Schüleraustausch gespielt?

(RP)
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