Duisburg Wenn Entlasser zu Entlassenen werden

Duisburg · Das Schauspiel Essen gastierte mit großem Erfolg im Duisburger Stadttheater mit "Top Dogs" von Urs Widmer. Es zeigt auf bissige Weise, was passieren kann, wenn Führungsetagen "verschlankt" werden.

Duisburg: Wenn Entlasser zu Entlassenen werden
Foto: Martin Kaufhold

Deutschsprachige Dramen, die das Thema Arbeitslosigkeit zum Inhalt haben, gibt es viele. Bei der Aufzählung derjenigen ragt eines immer wieder heraus: "Top Dogs" von Urs Widmer (1938-2014) aus dem Jahre 1996. Doch nicht nur, weil es alle bedeutenden Theaterpreise einheimste - von der Einladung zum Berliner Theatertreffen über den Mülheimer Dramatiker Preis bis hin zum Stück des Jahres der Zeitschrift "Theater heute" -, sondern, weil die "Entlassenen" in "Top Dogs" zugleich die "Entlasser" der "Underdogs" von einst sind.

Selbst 20 Jahre nach seiner Uraufführung hat das Stück an Aktualität an nichts eingebüßt. Trotzdem ist die aus Februar stammende Inszenierung vom Essener Schauspiel, die am Sonntagabend im Duisburger Theater gastierte, so gänzlich (auch wohltuend) anders, als die legendäre preisgekürte Premiere vom Theater am Neumarkt in Zürich. Für dieses "Anderssein" sorgten vor allem Regisseur Christoph Roos und seine Dramaturgin Jana Zipse. Sie strichen eine Figur (nämlich die des Gilles Tschudi), ordneten die zwölf Stück-Kapitel in der Abfolge neu beziehungsweise verzichteten auf einige gänzlich und aktualisierten manche Fachtermini und manches Hardware-Vokabular. Schließlich ist die Zeit von Telefon und Fax vorbei, heute sind Tablets und Smartphones angesagt.

Da Widmer sein Stück ursprünglich für die Stadt Zürich geschrieben hatte, verstand sich von selbst, dass hier dortige Örtlichkeiten und Unternehmen textlich nicht zum Zuge kommen konnten, sondern das Allgäu, die Lufthansa und Siemens, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Zwei Damen (gespielt von Silvia Weiskopf und Ines Krug) und fünf Herren (gespielt von Thomas Büchel, Jan Pröhl, Sven Seeburg, Axel Holst und Thomas Meczele), allesamt entlassene Mitglieder verschiedener Führungsetagen, treffen in der "New Challenge Company" (NCC), einem Outplacement-Center mit vermeintlicher Wohlfühlatmosphäre, aufeinander. Hier sollen sie lernen, sich neu auf dem Arbeitsmarkt zu orientieren und sich wieder möglichst schnell in einer Spitzenposition als funktionierendes Mitglied der Wirtschaft und Gesellschaft zu platzieren.

Dass sie es bisher waren, Mitarbeiter zu entlassen und sich nun selbst als die Entlassenen wiederfinden, macht ihnen allen stärker zu schaffen, als sie sich selbst gegenüber eingestehen wollen. Je länger sie sich auf die Übungen und Rollenspiele der Coaches und die Schicksale der Gruppenmitglieder einlassen, desto stärker lassen sie durchblicken, was diese Entlassung für ihr Leben bedeutet. Doch die Leidensgenossen sind zugleich auch Konkurrenten. Und so scheint zunächst ausschließliche Härte angesagt: "Deutschland ist keine Insel der Seligen mehr. Jetzt weht auch bei uns ein kalter Wind. Es ist vorbei mit den fetten Jahren. Da haben wir gerade im Management noch großzügig eingekauft. Wir müssen ein Global Player sein oder die Konkurrenz dreht uns die Luft ab. Business, das ist Krieg, Blut und Tränen. Der Markt braucht heute Monster."

Spätestens im Kapitel "Die Utopie des Menschen" kurz vor Schluss kippt die Stimmung: Aus den Monstern werden gewissermaßen Gut-Menschen, die sich um Umwelt und Menschlichkeit kümmern (wollen). Und so taucht zumindest einer von ihnen, nämlich Frau Jenkins, aus dem geschlossenen Sicherheitssystem der NCC (dafür hat Peter Scior einen mit Licht und Materialien wunderschön anzuschauenden Meditationsraum als Bühnenbild geschaffen), wortwörtlich in das unbekannte Neue und Dunkle (der Hinterbühne) ein und gleichzeitig ab.

Vorhang mit großem Schlussapplaus.

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