Duisburg Seelisches Chaos künstlerisch gebannt

Duisburg · Im Ruhrorter Lokal Harmonie wurde das Live-Hörspiel "Hermanns Schlacht" uraufgeführt. Die Produktion und Inszenierung von "Theater Arbeit Duisburg" war überaus beeindruckend.

 Das "Machtkrach"-Kollektiv sitzt in Form einer Art magischer Dreiecksbeziehung im Raum.

Das "Machtkrach"-Kollektiv sitzt in Form einer Art magischer Dreiecksbeziehung im Raum.

Foto: HH Bergmann

Von einer bemerkenswerten Uraufführung ist zu berichten: Die Rede ist vom Hörstück "Hermanns Schlacht" in einer Produktion und Inszenierung von "Theater Arbeit Duisburg" (TAD). Aufgeführt wurden Premiere und Wiederholungsvorstellung im Lokal Harmonie in Fortsetzung der viel beachteten Veranstaltungsreihe "Autorschafft" vom Kreativquartier Ruhrort (die RP berichtete).

Um es vorwegzunehmen: "Hermanns Schlacht" hat nichts zu tun mit dem (fast) gleichnamigen Kleistdrama "Die Hermannsschlacht". Vielmehr galt es in der TAD-Produktion zunächst einmal ein Konvolut aus über hundert Manuskriptseiten zu bearbeiten, darunter Interview- und Gesprächsaufzeichnungen, medizinische Beipackzettel und Gutachterberichte, um aus alledem einen Stücktext auf rund 20 DIN A4-Seiten zu destillieren. An dem diskursintensiven Prozess beteiligt waren Regisseurin Stella Cristofolini und Dramaturg Stefan Schroer vom TAD, der Autor Hermann Josef Krämer sowie der Schauspieler und Sprecher André Lewski.

Das Ergebnis sind sechs Kapitel, die aus dem Leben der Titelfigur Hermann Josef K. erzählen, fünf davon in Form eines Monodramas, eines als Dialog. Der so entstandene (Hörspiel-)Text ist eine Mischung aus agitatorischer Anklageschrift und einer depressiven Kapitulationserklärung sowie selbstquälerischer Rückschau mit dem Schrei nach Hoffnung. Hermann Josef K. ist 1978 geboren und aufgewachsen im Eifeldorf Kaperich. Er studierte Umweltschutz und schloss als Diplom-Ingenieur ab. Das und noch mehr erzählt das Stück autobiografisch. Er ist intellektuell hoch begabt und außergewöhnlich empathiefähig. Nichts sehnlicher wünscht er sich als Liebe: "Liebe ist alles", fleht er. Doch die Trennung seiner Freundin von ihm wirft ihn aus der Bahn. Daraufhin wird er 2002 zum ersten Mal in eine Psychiatrie eingewiesen und dort unter Medikamente wie "Truxal" und "Fluoxetin" gestellt und zwangsfixiert. "Die Zwangsmedikation und die Fixierungen, das sind Folterwerkzeuge. Sie sind das Perverseste überhaupt, was es in der Psychiatrie gibt", heißt es dazu von ihm sinngemäß im Text.

Was folgt, sind zwölf weitere Einweisungen, die dazu führen, dass jene Psychiatrieaufenthalte für ihn zum Martyrium werden: "Es ist wie im Krieg. Ich habe gekämpft. Dann haben sie mich entsorgt. Das hat mir das Genick gebrochen. Jetzt bestehe ich nur noch aus Angst und stehe unter Dauerschock. Ich sehe keinen Himmel mehr."

Das sind zusammengefasst die zentralen, beklemmenden Sätze seiner Leidensgeschichte. Seitdem ist er Frührentner, schwerstbehindert und teilentmündigt. Trotz allem bleibe sein Herz aber geöffnet, verkündet er zuversichtlich am Stückende. Während der Autorentext, von Lewski vorher eingesprochen, als Stimme aus den Lautsprechern ertönt, spricht Joscha Hendrix Ende vom Sound-Kollektiv "Machtkrach" den Arzt-Part im Dialogteil sitzend vor Mikrofon, Tablet und Reglern live vor Ort. Und das geschieht tontechnisch verfremdet auf äußerst raffinierte Weise. Damit verbunden war wohl die Idee der Botschaft von der Umkehr des Normalen - soll heißen: Nicht die Patienten sind krank, sondern die Psychiatrie.

Zusammen mit Mr Maribel, der Frau am E-Bass, und St. Kirchhoff, dem Mann an der E-Gitarre, erschafft das "Machtkrach"-Kollektiv von seinen drei im Raum verteilten Positionen aus einen Geräusche-, Klang- und Soundteppich, der vielfältige Fantasien und Assoziationen von seelischem Chaos, krankem Hirn und geistigem Wahn beim Publikum auslösen.

Eine großen und wohl auch erlösenden Beifall zugleich gab es zu Recht vom konzentriert mitgehenden Publikum nach 75 Minuten in teils bedrückender Atmosphäre einer überaus beeindruckenden Aufführung.

(RP)
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