Rp-Serie Duisburger Geschichte Und Geschichten Schlaglichter aufs Weltgeschehen

Duisburg · Türkenkriege, Rückeroberung Spaniens, Entdeckungen - der Duisburger Chronist Johann Wassenberch zeichnet ein einmaliges Geschichtsportrait. Der Sprachwissenschaftler Arend Mihm hat die historische Quelle neu erschlossen.

 Die Johanniter verteidigen Rhodos gegen die Türken (1480).

Die Johanniter verteidigen Rhodos gegen die Türken (1480).

Foto: Guilhelmus Caoursin

Vor 500 Jahren, im Jahr 1517, stirbt der Duisburger Kaplan und Johanniter Wassenberch - vermutlich an der Pest. Mit der Chronik der Ereignisse von 1474 bis 1517 schuf er ein einmaliges Geschichtsportrait unserer Stadt. Dabei geht sein Blick weit über Duisburg hinaus. Die Schlaglichter des Weltgeschehens umfassen die Eroberung neuer Welten, "Türkenkriege", Reichspolitik und lokale Ereignisse. Die beschreibt Johann Wassenberch kurz, nüchtern, aber auch kommentierend als Kind seiner Zeit. Dem Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Arend Mihm, der viele Jahre an der Universität in Duisburg lehrte, ist es zu verdanken, dass dieses Geschichtswerk wieder ans Licht kam: Er hat die Wassenberch-Chronik übersetzt und mit reichlich Hintergrundinformation veröffentlicht.

Die Chronik erlaubt spannende Einblicke in die regionale und globale Welt vor mehr als 500 Jahren. Es ist die Zeit der "Türkenkriege", der Wiedereroberung von Granada, der Entdeckung Amerikas. In Europa herrscht häufig schlechtes Wetter. Eiseskälte, Überschwemmungen und die Pest treffen die Menschen - nicht nur in Duisburg. Die Ursachen erscheinen unerklärlich. Die Suche nach Schuldigen beginnt. Das Umfeld ist aus Sicht vieler Menschen voller Dämonen, Teufeln und Hexen. Die unheimliche Seite religiösen Wahns zeigt sich in den Duisburger Hexenprozessen. Zwischen November 1513 und Februar 1514 sterben elf Hexen auf dem Scheiterhaufen. Staunt man bei solchen Ereignissen noch, dass viele Menschen ihre Zuflucht zu Wundern und Pilgerfahrten nehmen? Die wunderheilende Wirkung der Salvatorstatue ist überregional bekannt. Kaum zu glauben: Duisburg war eine überregional gefragte Pilgerstadt.

Die Duisburger Ereignisse stehen zwar im Mittelpunkt der Chronik, aber was kennzeichnet das Weltgeschehen? Der Aufstieg der Habsburger Monarchie beginnt und die Osmanen erobern die arabische Halbinsel und die nordafrikanische Küste. Die Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mehmet II. und die osmanische Beherrschung des Balkans lösen im christlichen Abendland Furcht und Kampfeswillen gegen den türkischen Feind aus. In der Folge entwickelt sich in der Türkei eine geostrategische Konstellation, die bis zum heutigen Tage Wirkung zeigt. Den Versuch des türkischen Großreiches, auch die Insel Rhodos 1480 zu überwältigen, wo sich der Hauptsitz der Johanniter befand, bewertet der Johanniter Wassenberch natürlich parteiisch. Aus seinem Bericht klingt deutlich sein Stolz heraus, dass sich seine Johanniter-Ordensbrüder so tapfer gegen die türkische Übermacht verteidigen konnten und der Gegner abziehen musste. Das türkische Feindbild wird gepflegt, obwohl Duisburg von den tatsächlichen Auseinandersetzungen weit entfernt ist, aber Wassenberchs Berichte spiegeln die tiefe Abneigung gegen die osmanische Bedrohung wider. Er ahnt wohl, dass Wien irgendwann ins Visier der türkischen Eroberungszüge gerät.

Seine Abneigung gegen die türkischen Eroberer, die 1453 das Zentrum christlicher Kultur - Konstantinopel - in seinen Besitz gebracht hatten, zeigt sich in seiner Schilderung des Erdbebens von Konstantinopel (1509). Das Erdbeben fordert 13.000 Opfer. Die Genugtuung über die Strafe Gottes für den Feind ist deutlich spürbar. Das Erdbeben wird von Wassenberch als Gotteszeichen gedeutet: " In der Hagia Sophia platzte bei allen Bildern, die die Türken zum Hohn der Christen mit Kalk überstrichen hatten, der Zement und Kalk ab, und die Bilder strahlten deutlich und schön, als wären sie frisch gemalt."

Die andere Nachricht, die sich auf die Rückeroberung von Granada und die Verbreitung des christlichen Glaubens in Spanien bezieht, begrüßt Wassenberch folgerichtig: "...van Hispanien, ende wart de christen geloue dair seyr vermeyrt." Denn durch diesen Erfolg gelingt es dem Königspaar Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon, die über 700 jährige Herrschaft der Araber über Spanien endgültig zu beseitigen. Damit ist einerseits der Grundstein für die spanische Weltmacht im 16. bis 18. Jahrhundert gelegt, andererseits aber auch die Tür zur Neuzeit einen Spalt weit aufgestoßen. Denn im Heerlager von Granada erhielt Kolumbus den Auftrag zur Atlantiküberquerung, um den Ostrand Asiens zu erreichen.

Für Wassenberch ist allerdings Amerigo Vespucci der wahre Entdecker der Neuen Welt: Der neue Kontinent erhält dann auch seinen Namen: Amerika. Das Zeitalter der europäischen Expansion beginnt im 15. Jahrhundert mit den Entdeckungsfahrten der Portugiesen nach Afrika und der Spanier nach Amerika. Neben Ausbeutung und Unterdrückung bestand auch der Auftrag zur Christianisierung der "ungläubigen" einheimischen Bevölkerung. Die Rettung der Seelen bildete die Legitimationsgrundlage für die Eroberungen. Gerade in der Rückschau treten die Entwicklungslinien mit Langzeitwirkung zutage. Das Zusammenleben der Menschen ohne religiöse Konflikte zu gestalten, bleibt wohl eine Daueraufgabe. Es gibt eben Dinge von nahezu unheimlicher Dauer.

Quelle: Arend Mihm, Die Chronik des Johann Wassenberch

(RP)
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