Schrottimmobilien in Marxloh Die Parallelwelt gleich nebenan

In Duisburg gibt es rund 90 sogenannter Schrottimmobilien, viele davon befinden sich im Stadtteil Marxloh. Verantwortlich sind zum einen die Vermieter, aber auch die Bewohner tragen ihren Teil dazu bei, dass die Probleme des Bezirks massiv sind. Besuch in einer Parallelwelt.

Spaziergang in Duisburg-Marxloh
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Foto: Christoph Reichwein

Ein kleines Mädchen — etwa um die sieben Jahre alt — steht im Türrahmen eines Mehrfamilienhauses. Es springt von der einen auf die andere Seite und wieder zurück — die Türe steht offen, eine Glasscheibe hat sie ohnehin nicht mehr. Der Anblick passt zum Rest des Hauses. Es ist dreckig, der Jalousienkasten ist zerstört, auf dem Geheweg liegen blaue Plastiktüten und Müll. Der Begriff "Schrottimmobilien" wurde wohl für Gebäude wie dieses erfunden.

Oder für Häuser wie jenes gleich gegenüber. Menschen wohnen hier keine mehr. Nach der Räumung vor ein paar Tagen hat die Stadt eine Stahltür einsetzen lassen — Zutritt nicht mehr möglich. Ein paar Meter weiter das nächste Haus, das sich zwar mitten in Duisburg befindet, aber genauso gut in einer Stadt oder einem Land stehen könnte, in der Begriffe wie Sozialstaat oder Wohlstand Fremdwörter sind. Ein Siegel des Ordnungsamts macht den Zutritt auch hier unmöglich. Ein Blick durch die zerborstenen Fenster aber lässt erahnen, wie es im Innern des Gebäudes aussehen muss. Gespenstisch mutet der verkommene Hausflur an; dass hier bis vor kurzem Menschen gelebt haben — schwer vorstellbar.

Schuld an den Schrottimmobilien sind sowohl Vermieter als auch Bewohner

Rund 90 dieser Schrottimmobilien gibt es in Duisburg. Teilweise ohne Frischwasser- und Stromversorgung, verkommen die Räume durch Fäkalien und Dreck zusehends. Strom wird in Eigenregie von einer in die andere Wohnung verlegt, viel zu viele Menschen wohnen auf kleinstem Raum zusammen.

Schuld daran haben zum einen die Vermieter, die teilweise in weiter Entfernung sitzen und die Immobilien als Rendite-Objekte anbieten. Sie wissen genau, dass sie schnelles Geld machen können, wenn die Wohnungen an die "richtige Klientel" vermietet werden. Was in den Räumen geschieht, oder wie die Mieter dort leben, das interessiert sie nicht. "Teilweise verlangen die Vermieter im Voraus die Nebenkosten, die aber nie abgeführt werden. Strom und Wasser gibt es dann nicht", weiß ein Polizeibeamter zu berichten, der häufig mit diesen Problemimmobilien zu tun hat — immer dann, wenn deren Bewohner Ärger machen. Und das kommt in Marxloh häufig vor.

Die Bewohner sind neben den Vermietern das andere große Problem. Sie sind es, die Sorge dafür tragen sollten, dass die Häuser bewohnbar sind, leben aber mit so vielen Personen auf engstem Raum, dass es schlicht unmöglich ist, Ordnung und Sauberkeit zu halten.

Wie es ist, hier zu wohnen? - "Asi, wie soll das sonst sein?"

Ein Junge mit hochgezogener Kapuze und Bullterrier läuft vorbei. Er kommt aus dem Haus neben dem Gebäude mit der Stahltür. Ob er etwas von der Razzia mitbekommen habe? "Die hatten doch da Kakerlaken, oder?", fragt er.

Kakerlaken — mag sein. Jedenfalls haben sie dort mit rund 60 Mann gewohnt — verteilt auf vier Wohnungen. "Nee, nee, das ist das Haus weiter hinten. Aber 60 Mann? Das waren bestimmt 100!", ruft er. Auf die Frage, wie es ist, hier zu wohnen, zuckt er mit den Schultern und entgegnet: "Ja, asi, wie soll das sonst sein?"

Gleich nebenan verlässt ein älterer Herr sein Haus. Er fällt auf, er sieht gepflegt aus. Einen dunklen Mantel hat er an, darunter blitzt eine Krawatte hervor, die Schuhe sehen frisch geputzt aus. Er lebe schon seit über 37 Jahren in Deutschland, seit 20 Jahren sei er deutscher Staatsbürger. Der Zustand seiner Straße? Eine Katastrophe. "Aber ich habe hier vor langer Zeit eine Wohnung gekauft. Damals, als ich noch bei Thyssen gearbeitet habe." Jetzt werde er die Immobilie nicht mehr los, "sonst wäre ich schon längst weg", sagt er. Aber wer wolle schon hier wohnen?

Überall sei es dreckig, die Bewohner der Häuser würden den Müll einfach aus den Fenstern schmeißen. Nachts sei es am schlimmsten. Neben den Prügeleien würden die Männer ihre Töchter und Frauen auf der Straße anbieten, genauso wie Heroin oder Haschisch, sagt er. Angst habe er keine. "Ich denke, wenn ich denen nichts tue, dann tun die mir auch nichts." Aber die Lautstärke, die störe ihn schon sehr. "Die schreien den ganzen Tag rum. Unterhalten sich aus dem dritten Stock mit Leuten auf der Straße — und sind dabei richtig aggressiv."

So habe er sich die EU nicht vorgestellt, sagt der Mann mit den türkischen Wurzeln. Seine Kinder seien schon lange weggezogen. Genau wie die Bulgaren. "Und wenn die Bulgaren schon wegziehen, das soll 'was heißen...", sagt er und macht sich auf den Weg.

Die Bewohner wollen nicht gehen - selbst, wenn die Polizei kommt

In dem Haus mit der kaputten Tür herrscht mittlerweile reger Betrieb. An nahezu jedem Fenster hängen Mädchen und Frauen — von vier bis 40 Jahre ist alles dabei. Sie sehen wütend aus, schimpfen und schreien und rudern mit den Armen. "Verschwindet", brüllt eine Frau aus der zweiten Etage. Drohend hält sie ein Glas in der Hand und deutet an, dass sie nicht zögern wird, das Glas zu werfen, sollte ihrer Forderung zu verschwinden nicht nachgekommen werden. Als die Polizei kommt, verstummen die Rufe, die Frauen ziehen die Vorhänge zu - und sich zurück.

Die Grünen sprechen von "überzogener Härte" der Ordnungskräfte, die eine Immobilie auf dieser Straße Mitte des Jahres geräumt hatten. Unverständlich für diejenigen, die mit Bewohnern dieser Art bereits in Kontakt gekommen sind. "Die wollen einfach nicht gehen und wehren sich mit Händen und Füßen", weiß eine Polizistin zu berichten, die bereits bei einer solchen Aktion dabei gewesen ist. Auch die 25. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf, mit Beschluss vom Dienstag, hat das Vorgehen der Stadt Duisburg in einem Eilverfahren als rechtmäßig bestätigt.

Lesen könne hier fast keiner, so die Postbotin

Jemand, der sich unfreiwillig mit den Bewohnern der Straße auseinandersetzen muss, ist die junge Postzustellerin, die diese Tour "zum Glück nur einmal die Woche hat", wie sie sagt. "Die Leute sind sehr aufdringlich. Wenn sie ihre Bankkarte und den Pin nicht bekommen, laufen sie die ganze Straße neben einem her, bedrängen einen und werden auch schon mal handgreiflich", sagt die Frau mit dem langen blonden Flechtzopf. "Die können sich einfach nicht benehmen, sind total unzivilisiert."

Hier zu arbeiten sei nicht ohne, sie habe bereits ein Deeskalationstraining mitgemacht und von ihrem Chef den guten Ratschlag erhalten, sie solle doch sicherheitshalber CS-Gas bei sich tragen. Man müsse sich Respekt verschaffen, sagt sie. Bei ihr sehe das so aus, dass sie den Menschen auf Augenhöhe begegne, mit ihnen rede und ihnen auch schon mal vorlese, was in ihren Briefen steht. Denn lesen, das könne hier fast keiner.

Meistens seien es Briefe vom Amt, weil die Kinder nicht zur Schule gehen oder wegen sonstiger Probleme. Die Kinder seien manchmal eine Hilfe, denn wenn sie zur Schule gingen, könnten sie vermitteln. "So ganz ohne" seien sie aber auch nicht. Dass sie an ihr Post-Fahrrad gingen, sei noch harmlos. Vor ein paar Wochen habe sie mitbekommen, wie drei Kinder an der Grundschule auf ein anderes Kind losgegangen seien. "Die haben das Kind mit 'ner Bastelschere bedroht, haben Jacke und Schuhe gestohlen und sind abgehauen. So etwas habe ich noch nicht gesehen." Seitdem gebe es an der nahegelegenen Grundschule Security.

Die Polizei vor dem Haus mit der fehlenden Glasscheibe in der Tür ist wieder verschwunden. Es regnet. Trotzdem steht eine Gruppe von Menschen davor. Aggressiv oder etwa besorgt wegen des Polizeieinsatzes sehen sie nicht aus. Im Gegenteil. Sie lachen, sie klatschen in die Hände und sie tanzen. Musik kommt aus dem geöffneten Kofferraum eines geparkten Autos. Das Leben findet auf der Straße statt — wo sonst, wenn es drinnen doch keinen Strom gibt?

(csk)
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