Katastrophe bei der Loveparade Panikforscher: Sicherheitskonzept war schlüssig

Stauforscher Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen hatte das Sicherheitskonzept für die Loveparade vorab geprüft. Jetzt erhebt Schreckenberg Vorwürfe, das Konzept sei zwar ausreichend gewesen, sei jedoch offenbar nicht korrekt umgesetzt worden.

 Michael Schreckenberg ist Deutschlands bekanntester Stauforscher.

Michael Schreckenberg ist Deutschlands bekanntester Stauforscher.

Foto: RP-Foto: Hans-Jürgen Bauer

Der Professor hat sich in den vergangenen Jahren vor allem als Stau-Experte bundesweit einen Namen gemacht. Mit der richtigen Beantwortung der Frage nach der Bedeutung des von ihm mitentwickelten Nagel-Schreckenberg-Modells zur Stau-Prognose gewann Oliver Pocher bei Günther Jauchs Fernsehsendung "Wer wird Millionär" eine Million Euro.

In jüngster Zeit haben Michael Schreckenberg und seine Mitarbeiter sich an der Universität Duisburg-Essen mit der Erforschung des Verhaltens von Fußgängerströmen befasst. Insofern war es naheliegend, den theoretischen Physiker und Inhaber einer Professur für die Erforschung des ruhenden und fließenden Verkehrs mit der Begutachtung des Sicherheits-Konzepts für die Loveparade zu beauftragen. Er hatte das Konzept abgenickt und für "in sich logisch und schlüssig" befunden.

"Das Ganze hat funktioniert"

An dieser Einschätzung hat sich auch nach der Katastrophe mit 19 Toten und 342 Verletzten nichts geändert. "Das Ganze hat funktioniert", sagt der Gutachter. Er habe noch nie eine derartig gut vorbereitete Veranstaltung wie die Duisburger Loveparade erlebt. "Allerdings habe ich die Veranstalter auf die beiden problematischen Punkte, den Bahnhof und den Tunnel, hingewiesen.

Grundsätzlich sei der Tunnel allerdings in der Lage gewesen, einen sicheren Zu- und Abgang zum Festgelände zu gewährleisten", sagt Michael Schreckenberg.
Nach Darstellung des Wissenschaftlers von der Universität Duisburg-Essen sei die Massenpanik ausgelöst worden, als Besucher versuchten über eine gesperrte Treppe aus dem Gedränge zu entkommen und mehrere Meter in die Tiefe stürzten.

Schwächen in der Umsetzung

Schon dabei soll es die ersten Toten gegeben haben. "Von der Existenz dieser Treppe habe ich nichts gewusst", erklärte der Gutachter. "Dass Menschen "von oben herunterfallen" sei in dem Sicherheitskonzept der Loveparade nicht vorgesehen gewesen. Wäre ihm die Treppe bekannt gewesen, hätte er empfohlen sie "wegzusprengen".

Außerdem sei offenbar versäumt worden, den Tunnel rechtzeitig zu schließen. Dies habe aber vor dem Unglück mehrere Male reibungslos geklappt. Dann aber habe es wohl "Störungen im Prozessmanagement" gegeben.

Zweifel an den Schätzungen

Schreckenberg berichtet, dass einer seiner ehemaligen Mitarbeiter eine Computer-Simulation erstellt habe, mit Hilfe dessen die Kapazität des Tunnels errechnet worden sei. Dabei sei sogar berücksichtigt worden, was geschehe, wenn jemand in der Menge plötzlich rufe, dass gleich eine Bombe hochgehen werde. Bei einem solchen Vorfall waren in diesem Jahr während einer Gedenkveranstaltung mit Königin Beatrix in den Niederlanden 63 Menschen bei einer Massenpanik zum Teil schwer verletzt worden.

Das Festgelände selbst soll nach Angaben des Panikforschers zum Zeitpunkt der Katastrophe noch nicht voll gewesen. Die Kapazität für das Gelände habe bei etwa 250.000 Besuchern gelegen. Schreckenberg bezweifelt die bislang angegebenen inoffiziellen Schätzungen zu den Besucherzahlen. Je nach Quelle sollen sich am Samstag bis zu 1,4 Millionen Loveparade-Fans in Duisburg aufgehalten haben.

20.000 pro Stunde

Bereits vor der Loveparade hatte Schreckenberg solche Besucher-Erwartungen als "völligen Quatsch" abgetan. Er verweist auf Berechnungen, nach denen die Duisburger Verkehrswege nicht mehr als 483.000 Besucher hätten aufnehmen können. Alle bisher bekannt gewordenen Schätzungen gehen jedoch von erheblich mehr Menschen aus, die am Samstag wegen des Techno-Spektakels in der Stadt waren. Die Veranstalter etwa sprachen von einer Million Besucher. Der Tunnel selbst, sagte Schreckenberg der Nachrichtenagentur ddp, habe eine Kapazität von 20.000 Besuchern pro Stunde gehabt.

Der Forscher berichtet, dass er sich zeitweise selbst in der Besuchermenge während der Loveparade aufgehalten habe. In Internetforen wird er bereits mitverantwortlich für das Geschehen und den Tod von 19 Menschen gemacht.

(DDP/jco)
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