Duisburg Ostergottesdienst unter Kriegsbeschuss

Duisburg · Im Mündelheimer Gemeindearchiv werden die Tagebücher von Gertrud Walther (1889 - 1977) aufbewahrt. Die Lehrerin hielt darin das Geschehen im Dorf fest. Die Schilderung der letzten Kriegsmonate ist nüchtern, aber ergreifend.

 So sah Ostern 1945 die Mündelheimer St.-Dionysius-Kirche aus. Die Gottesdienste wurden damals im Gewölbekeller des Pfarrhauses gefeiert.

So sah Ostern 1945 die Mündelheimer St.-Dionysius-Kirche aus. Die Gottesdienste wurden damals im Gewölbekeller des Pfarrhauses gefeiert.

Foto: fotos aus dem mündelheimer Heimatbuch, reproduziert und technisch aufbereitet von christoph reichwein

Die älteren Mündelheimer wissen es: Gertrud Walther war in Mündelheim eine Institution. Als 26-Jährige kam sie 1915 von Kempen als Lehrerin nach Mündelheim, wo sie zeitlebens blieb. "Fräulein Walther", wie sie im Dorf genannt wurde, war nicht nur in der Schule präsent. Sie war vielen Ratgeberin und Helferin. Vor allem war sie als tiefgläubige Katholikin in der Gemeinde aktiv. Sie war gewissermaßen die rechte Hand des Pfarrers. Und der war von 1917 bis 1945 Dechant Hubert Schumacher. Der Geistliche hat - wie Gertrud Walther - das Ende beider Weltkriege in Mündelheim erlebt.

 Gertrud Walther (l.), Dechant Schumacher mit Schwester, ein Herr Kramer und der damalige Kaplan Berresheim beim Kaffeetrinken im Pfarrhaus.

Gertrud Walther (l.), Dechant Schumacher mit Schwester, ein Herr Kramer und der damalige Kaplan Berresheim beim Kaffeetrinken im Pfarrhaus.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Der Dechant und das "Fräulein" bildeten ein Gespann, das von den Nationalsozialisten mit Argwohn betrachtet wurde. Der Dechant wurde achtmal von Gestapo-Leuten verhört, musste auch vor Sondergerichten erscheinen, weil er offen gegen das Regime sprach. Er kam jedes Mal frei, doch wurde ihm das Recht entzogen, Religionsunterricht zu erteilen. Diese Aufgabe übernahm Gertrud Walther, die auch den Kommunionunterricht erteilte, stets mit dem Segen des Dechanten.

 Am 14. April erreichen amerikanische Soldaten Mündelheim und lassen die Bewohner auf dem Rheinheimer Weg antreten.

Am 14. April erreichen amerikanische Soldaten Mündelheim und lassen die Bewohner auf dem Rheinheimer Weg antreten.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

All das sollte man wissen, um den Wert der Tagebücher von Gertrud Walther (1889 - 1977) zu ermessen, die wenig Persönliches festhielt, aber dafür das Leben im Dorf schilderte. Nüchtern, aber gerade deswegen auch ergreifend beschreibt die Lehrerin, deren Autorität bis in ihr hohes Alter unangefochten blieb, die letzten Kriegsmonate. Für das vorzügliche Heimatbuch "Mündelheim - Heimat im großen Rheinbogen" (1997 erschienen) waren die Tagebücher eine wichtige Quelle. Sie werden heute im Mündelheimer Gemeindearchiv aufbewahrt.

Die Mündelheimer Kirche wurde gegen Ende des Krieges mehrmals von Granaten getroffen. Am 7. März 1945 wurde der Kirchturm zerstört. Zuflucht bot noch der Keller des Pfarrhauses. Unter dem Datum 15. März 1945 notiert Gertrud Walther: "Mündelheim unter schwerem Beschuss. Eine Reihe von Todesopfern ist zu beklagen - zwei Töchter des Landwirts Osterfeld, Elisabeth Steuten. Die Leichen wurden in der Dämmerung von beherzten Männern in die Sakristei der Kirche gebracht, dort vom zeitigen Dechanten eingesegnet - in der Nacht zum Friedhof getragen und beerdigt. Der Gottesdienst wird im Keller des Pfarrhauses abgehalten. Dort muss sich der Geistliche aufhalten und hat noch Nachbarn mit in seinen Keller genommen. Es hausen auf engstem Raum 27 Menschen, wohnen, kochen, schlafen..." - Die Erinnerung an eine schlimme Nacht im März 1945 zeigt, wie es damals frommen Menschen zumute war. "Wir saßen zusammengedrängt beim Schein eines Bunkerlichtleins im Keller des Pastorats. Alles um uns zitterte und bebte. Wir hörten, wie das Mauerwerk über uns zusammenkrachte und auf das zitternde Gewölbe polterte. Als das Entsetzen seinen Höhepunkt erreicht hatte und wir kaum noch atmen konnten, erhob sich Dechant Schumacher und sagte: 'Es wird Zeit, dass wir uns auf das unausweichliche Ende vorbereiten. Ich erteile euch allen, die ihr hier seid, die Generalabsolution im Angesicht des Todes.' Der Dechant schlug das Kreuz über uns, und wir knieten nieder und beteten, die Frauen mit ihren kleinen Kindern im Arm. Aber der Kelch ging an uns vorüber. Das über 400 Jahre alte Gewölbe hielt dem Druck der Trümmer und der Wucht der Einschläge stand."

Vor 70 Jahren fiel Ostern auf den 1. April. Damals waren viele Häuser Mündelheims zerstört. Fotos von damals zeigen aufgerissene Dachstühle, freistehende Balken und zur Hälfte durchbrochene Hauswände. Die Kirche gleicht einer Ruine. Sie wird später zwischen 1949 und 1955 wiederaufgebaut. Der Eintrag von Gertrud Walther ist knapp: "Ostern - Wir sitzen in den Trümmern und Kellern und harren der Erlösung. Auch heute hält die Beschießung an. Heilige Messe im Keller des Pfarrhauses - 100 Menschen nehmen daran teil." Das Bild muss man sich vor Augen halten: 100 Menschen in einem Keller, der nicht größer ist als der eines gewöhnlichen Einfamilienhauses. Die Menschen müssen sich bis die Treppen hinauf gedrängt haben, um beim Gottesdienst dabeizusein.

Der Ostermontag bescherte den Mündelheimern neue Schrecken, aber nicht durch die anrückenden amerikanischen Soldaten. Im Tagebuch heißt es: "Deutsche Soldaten durchstöbern die Keller nach wehrfähigen Männern, die jetzt noch für eine verlorene Sache geopfert werden sollen. Schnell war alles verschwunden, die Suchaktion verlief ergebnislos." In den Tagebüchern ist auch zu lesen, wie kalt damals mit der Not der Menschen umgegangen wurde. Nach Ostern wurden neue Lebensmittelkarten ausgeteilt, die aber persönlich in Hüttenheim abgeholt werden mussten, ein eineinhalbstündiger Fußweg von Mündelheim. Gertrud Walther schreibt: "So jagt man die armen Menschen durchs Artilleriefeuer."

Am 13. April 1945 sind die ersten Amerikaner in Mündelheim. Sie sind misstrauisch und durchsuchen die Häuser nach verborgenen Soldaten oder Waffen. Sieben deutsche Soldaten werden aufgestöbert und linksrheinisch zu einem Kriegsgefangenenlager gebracht. Dechant Schumacher versucht zwischen den Mündelheimern und den Amerikanern zu vermitteln. Offenbar mit einigem Erfolg. Auf dem Rasen vor der Kirche lassen sich viele Flüchtlinge nieder. Bauern kochen für sie Suppe.

Im Juni 1945 notiert Gertrud Walther: "Langsam vollzieht sich die Rückkehr zum normalen Leben." Am 31. Dezember 1945 stirbt Dechant Hubert Schumacher im Alter von 66 Jahren, "betrauert von allen Mündelheimern", wie es im Mündelheimer Heimatbuch heißt.

(RP)
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