Duisburg Modiano-Lesung ohne Übersetzerin Edl

Duisburg · Auch ohne die erkrankte "Königin der Übersetzer" kamen die Zuhörer auf ihre Kosten.

Der Begriff "marokkanische Bande" hat in diesen Tagen einen aktuellen Beigeschmack. Doch "Gräser der Nacht" ("L'herbe des nuits", 2012), der jüngste Roman des französischen Nobelpreisträgers Patrick Modiano, spielt im Wesentlichen in der Vergangenheit.

Aus der Distanz eines halben Jahrhunderts erinnert sich der Schriftsteller Jean, wie er sich in die geheimnisvolle Dannie verliebte. Als er sie kennenlernt, lebt sie in Paris, hat so viele Namen wie Adressen und verkehrt mit einer zwielichtigen Bande, die Kontakte nach Marokko unterhält. Dann verschwindet Dannie von einem Tag auf den anderen. Und Jean wird als Zeuge in einem ungeklärten Todesfall verhört, der eine ganz andere Geschichte von Dannie erzählt. Das ist wie immer bei diesem Autor nahe an der eigenen Biografie, auch die meisten Personen werden bei ihren wirklichen Namen genannt. Zum Beispiel gab es tatsächlich die Entführung und Ermordung des marokkanischen Exilpolitikers Mehdi Ben Barka.

Eigentlich sollte Elisabeth Edl, die Königin der Übersetzer aus dem Französischen, jetzt für den Verein für Literatur und Kunst und die Deutsch-Französische Gesellschaft Duisburg in der Zentralbibliothek im Stadtfenster ihre Übersetzung der "Gräser der Nacht" vorstellen. Doch sie erschien nicht, und auch die Veranstalter konnten sich zunächst ihr Fernbleiben nicht erklären. Später stellte sich heraus, dass Elisabeth Edl plötzlich erkrankt war und offenbar die Veranstalter nicht mehr informieren konnte.

Bibliotheksdirektor Dr. Jan-Pieter Barbian und Moderator Wolfgang Schwarzer improvisierten daraufhin spontan eine vorzügliche Einführung in Leben und Werk von Modiano. Geboren wurde er kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und sein bis heute vorherrschendes Lebensgefühl, dem er in seinen Büchern stilistisch brillant Ausdruck verleiht, ist das der Ungewissheit über das, was in der Vergangenheit war. Seine Mutter war als Schauspielerin meistens abwesend und sein Vater, italienisch-jüdischer Herkunft, rettete sich über die Zeit der deutschen Besatzung mit Halbwelt-Kontakten.

(hod)
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