Duisburg Licht und Schattenseiten jüdischer DNA

Duisburg · Vor 500 Jahren wurde in Venedig das erste jüdische Ghetto gegründet. Eine Ausstellung im Ludwigsturm erinnert daran.

 Von oben nach unten im Ludwigsturm: Dmitrij Yegudin, Alexander Drehmann, Eva Haller und Sofia Sokolov.

Von oben nach unten im Ludwigsturm: Dmitrij Yegudin, Alexander Drehmann, Eva Haller und Sofia Sokolov.

Foto: Andreas Probst

Im sogenannten Ludwigsturm des Duisburger Innenhafens ist bis zum 15. Januar eine sehenswerte Dokumentations- und Fotoausstellung über jüdisches Ghettoleben im Venedig des 16. Jahrhunderts und Shanghai des 20. Jahrhunderts zu sehen.

2016 ist für die jüdische Kultur ein Jahr des Gedenkens. Denn vor genau 500 Jahren wurde in Venedig das erste jüdische Ghetto weltweit gegründet. Über 400 Jahre später entstand dann in Shanghai das letzte Ghetto, in das bis zu 20.000 Juden Zuflucht vor den Nationalsozialisten fanden. Auch wenn beide Ghettos historisch gesehen nichts miteinander zu tun hätten, betonte die Präsidentin der Europäischen Janusz Korczak Akademie (EJKA), Eva Haller, auf der Vernissage, eine Beziehung zueinander existiere schon. Allein der Begriff des Ghettos, der einst aus dem italienischen Wort "geto" (für Gießerei) wohl entstand, schaffe eine Verbindung. Diesem Begriff, einem Schlüsselwort der jüdischen Diasporaerfahrung, so Haller weiter, wolle die Ausstellung nachspüren. "Es ist gewissermaßen die jüdische DNA, die sich durch die Ausstellung zieht."

Die beiden italienischen Fotografen Davide Calimani, der in Venedig lebt, und Lino Sprizzi, der sein jetziges Zuhause in Zürich hat, begaben sich dafür auf Spurensuche in die Lagunenstadt. Dort fanden sie Zeugnisse jüdischen Lebens aus Vergangenheit und Gegenwart. Die jetzt in Duisburg zu sehenden Farbfotos stammen vom Bildjournalisten Calimani und ermöglichen einen einzigartigen Blick auf die prachtvollen, teils goldenen Synagogen des Ghettos. Sprizzi dagegen versucht mit seinen Schwarz-Weiß-Aufnahmen eher die heutigen Lebensumstände einzufangen. Haller: "Ich wollte die Licht- und Schattenseiten abgelichtet bekommen. Deshalb bat ich Sprizzi nur SW-Fotografien zu machen. Heute ist das Leben in Venedig nämlich völlig anders, keinesfalls mehr so golden wie einst." Wie es den Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus im Ghetto von Shanghai erging und welches Einzelschicksal mancher von dort erlebte, wird auf mehreren Schau- und Schrifttafeln wiedergegeben, die das Konfuzius-Institut in Hannover der Ausstellung als Leihgabe zur Verfügung stellte. Sie geben Zeugnis davon ab, dass die Geflüchteten sich im damals japanisch besetzten Shanghai eine eigene Infrastruktur schufen und ein bemerkenswertes Kulturleben mit Cafés, Clubs, Theater und eigenen Zeitungen aufbauten.

Eindrucksvoll schilderte in diesem Zusammenhang der Kölner Journalist und Schriftsteller Peter Finkelgruen, im März 1942 im Shanghaier Ghetto geboren, als Zeitzeuge, wie es ihm und seinen Eltern in dem so (über)lebenswichtigen fernöstlichen Zufluchtsort erging. "Die Lebensbedingungen in der Zeit von 1943 bis zur Befreiung durch die Amerikaner im Herbst 1945 waren sehr schlecht. Es gab kaum etwas zu Essen und die hygienischen Verhältnisse waren katastrophal. Doch am schlimmsten war für mich der Anblick toter Kinder auf der Straße."

Veranstalter der Ausstellung ist die EJKA in München in Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde Duisburg, Mülheim an der Ruhr und Oberhausen. Konzipiert und auf das Treppenhaus des sogenannten Ludwigsturms im Garten der Erinnerung des Innenhafens zugeschnitten wurde die Dokumentation von Sofia Sokolov. Sie ist Programmleiterin der EJKA in Nordrhein-Westfalen mit Sitz in Duisburg (die RP berichtete). Bei ihr meldet man sich unter "mailto:anmeldungnrw@ejka.org" , wenn man die Ausstellung besuchen und gegebenenfalls eine Führung haben möchte.

(RP)
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