Duisburg Lebenserfahrung in poetischen Texten

Duisburg · Die Duisburger Autorin und Literaturvermittlerin Sigrid Kruse veröffentlichte jetzt den Band "Es steht im Raum" mit Geschichten und Gedichten "vom Wünschen und Verwünschen".

 Die Autorin Sigrid Kruse zeigt in ihrem neuen Buch, wie fruchtbar Fantasie und Wirklichkeit miteinander auskommen können.

Die Autorin Sigrid Kruse zeigt in ihrem neuen Buch, wie fruchtbar Fantasie und Wirklichkeit miteinander auskommen können.

Foto: elsa lappat

Ein alter, von Tieren und der Zeit zerfledderter Sessel steht in einer riesigen Halle, die so heruntergekommen ist, dass von ihrer ursprünglichen Nutzung nichts mehr zu erkennen ist. Der Titel dieser Fotografie sagt uns mehr: "Das Reich der Königin erzählt von früher Pracht." - Sigrid Kruse hat das "moderne Stillleben" fotografiert und zeigt mit dem witzig-ironischen Titel, wie fruchtbar Fantasie und Wirklichkeit miteinander auskommen können. Die Fotografie ist auf dem Cover ihres soeben erschienenen Bandes "Es steht im Raum. Geschichten und Gedichte vom Wünschen und Verwünschen" zu sehen. Weitere Fotografien von Sitzmöbeln als kuriose Fundstücke mit assoziationsreichen Titeln sind als heitere, anspielungsreiche Lesepausen in dem knapp 200 Seiten starken Band verstreut.

Grimms Märchen "Vom Froschkönig" führt in "alte Zeiten, wo das Wünschen noch geholfen hat"; Sigrid Kruse hingegen erinnert sich an Zeiten, die man sich nicht immer zurückwünschen, sondern auch verwünschen möchte. Oft geht es in ihren Erinnerungsgeschichten um Geheimnisse, über die man nicht sprechen möchte. Ein besonders dunkles Familiengeheimnis wird in der Erzählung "Freundin unzertrennlich" geschildert. Es geht dabei um die Missbrauchserfahrung eines kleinen Mädchens.

Sigrid Kruse erzählt dabei aus der rückblickenden Perspektive, wobei sie den geistig-seelischen Horizont des betroffenen kleinen Mädchens mit dem Horizont der erwachsenen Erzählerin auf sublime Art verschmilzt. Als Leser ahnt man schon bald, dass der scheinbar harmlos-kumpelhafte Vater der "unzertrennlichen Freundin" keineswegs nur Väterliches im Sinne hat, wenn er mit den Mädchen spielen will, sie mit Süßigkeiten verwöhnt.

Sigrid Kruse schreibt diese Geschichte nicht mit der Feder einer empörten Anklägerin, vielmehr schwingt bei ihr auch die Trauer um den Verlust der kindlichen Naivität mit. Wie immer bei ihr steht am Schluss der Erzählung etwas im Raum, das noch ausgeräumt werden müsste.

In fast allen Texten kommen Einzelgänger und Außenseiter vor. Die Ich-Erzähler sind allesamt Frauen oder Männer, die das Leben mehr beobachten, als es selber gestalten. In der Geschichte "Ins Blaue" muss die Ich-Erzählerin, die sich selber als Einzelgängerin empfindet, feststellen, dass ihr angeblich so menschenzugewandter Friseur wohl auch ein Geheimnis gehabt haben muss, das ihn "verschwinden" lässt. Die erzählerische Pointe ist, dass sich die doppelte Abseitsposition von Ich-Erzählerin und Friseur gewissermaßen zwischen den Zeilen zeigt. - Eine Perle unter ihren Erzählungen ist die Freundschaftsgeschichte zwischen einer deutschen Ich-Erzählerin und einer jungen Frau aus Sofia. Die Deutsche besucht ihre mitreißende, in Liebesdingen aber nicht immer treffsichere Freundin in der bulgarischen Hauptstadt. Überaus feinsinnig schildert die Autorin auf verschiedenen Ebenen Vertrautheit und Fremdheit, Nähe und Distanz.

Überhaupt zeichnen sich die Texte von Sigrid Kruse dadurch aus, dass sie atmosphärisch etwas mitschwingen lassen, was sich nicht klipp und klar benennen lässt, was man nur unterschwellig wahrnehmen kann, was sich aber nicht ignorieren lässt. Dieses gewisse Etwas macht die Erzählkunst Sigrid Kruses aus. Dabei spielt gewiss eine Rolle, dass die Autorin als Lyrikerin eine ungemein assoziationsreiche Sprachmelodie intoniert, auf die man sich gut einlassen kann. Manchmal freut man sich dabei auch an den etwas leichteren Wortspielen wie:

"Wo's ihr graut,

bekennt sie Farbe."

Im neuen Band "Es steht im Raum" sind auch drei Erzählungen aus dem 1993 erschienenen Band "Zimmerflucht" aufgenommen worden. Diese Texte sind ungemein einfühlsame Porträts von Menschen mit psychischen Auffälligkeiten beziehungsweise Demenzerkrankungen. Auch hier zeigt sich die besondere Qualität der Autorin, die Lebenserfahrung in poetische Texte fassen kann, die die Leser mitnehmen, ohne sie zu überrumpeln.

Sigrid Kruse: Es steht im Raum. Geschichten und Gedichte vom Wünschen und Verwünschen. Erschienen im Gilles & Francke Verlag, Duisburg. 198 Seiten, 15 Euro.

(RP)
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